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»Der NSU ist kein UFO«

»Bündnis gegen Naziterror« vermisst öffentliche Aufarbeitung rechtsterroristischer Morde

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Hat das öffentliche Erschrecken über die Taten des »Nationalsozialistischen Untergrundes« etwas gebracht - außer einem unübersichtlichen Gerichtsverfahren? Aufklärung fehlt, meinen Kritiker.

Was wissen wir nach vier parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und nach einem halben Jahr Prozess wirklich über den NSU, die Verstrickungen des Verfassungsschutzes und den institutionalisierten Rassismus in Deutschland? Mit dieser Frage beschäftigte sich in München eine Diskussionsveranstaltung des »Bündnisses gegen Naziterror und Rassismus« und des Kurt-Eisner-Vereins. Wenn es dabei ein gemeinsames Fazit gab, dann war es die Erkenntnis, dass es an gesellschaftlichem Druck und Empörung fehle, das Thema nur noch unter Gerichtsperspektive gesehen und ansonsten von den Medien vernachlässigt werde.

Dabei war die Veranstaltung mit dem Titel »Hat sich irgendwas verändert? Eine Zwischenbilanz« am Dienstagabend im Münchner Gewerkschaftshaus so gut besucht, dass zusätzliche Stühle benötigt wurden. Unter den drei Diskutanten am Podium saß Andreas Speit, der als Journalist und Buchautor seit Jahren über die extreme Rechte schreibt und zuletzt mit Andrea Röpke »Blut und Ehre: Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland« herausgab. Er bilanziert die vier parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Deutschland zu den NSU-Morden.

Dabei sei der des Bundestages am ergiebigsten gewesen, so seine Einschätzung, stünden in dem 1400seitigen Abschlussbericht doch harte Einschätzungen des Versagens der Ermittlungsbehörden. Etwa wenn dem Verfassungsschutz »mangelnde Analysefähigkeit« vorgeworfen werde. »Die paar jungen Leute, die machen ein bisschen Blödsinn in der Garage«, das sei die Einschätzung in den einschlägigen Ermittlerkreisen gewesen.

Freilich, Konsequenzen habe dies für die Verfassungsschützer bislang nicht gehabt. In Sachsen sei die »fehlende Eigeninitiative der Ermittler« eklatant gewesen, in Bayern der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind, in Thüringen »knallt und scheppert« es - niemand ist für nichts verantwortlich. Auch wenn die Informationen kaum mehr überschaubar seien, sei klar geworden, wie wichtig das Aufklärungsinstrument des Untersuchungsausschusses sei. Speit meint dies auch in Hinsicht auf Baden-Württemberg und die Ermittlungen zum dortigen Polizistinnenmord, dort steht ein Untersuchungsausschuss noch aus.

Eine erste Zwischenbilanz zu dem NSU-Prozess in München zog Sebastian Schneider von der Initiative NSU-Watch. Die beobachtet den Prozess und veröffentlicht mehrsprachige Protokolle und Hintergrundinformationen zum NSU auf der Homepage www.nsu-watch.info. 73 Verhandlungstage gab es bisher im NSU-Prozess und Schneider rechnet mit einer Prozessdauer bis in das Jahr 2015 hinein. Denn der Ladungsplan des Gerichts sei viel zu ambitioniert, für einen wichtigen Zeugen seien etwa nur 15 Minuten angesetzt worden. Die Vernehmungen aber dauerten oft länger, auch durch die Fragen der zahlreichen Nebenkläger, daraus entstünde ein zeitliches Chaos. Was wiederum ein Problem für die angereisten Zeugen sei.

Schneider benennt in seiner Zwischenbilanz die weißen Flecken des Gerichtsverfahrens: So werde die Nachfrage der Nebenkläger nach weiteren NSU-Unterstützern neben den fünf Angeklagten abgeblockt, und die gesellschaftliche Dimension der Morde habe im Gerichtssaal keinen Platz. Obwohl der Prozess aller Voraussicht nach nur begrenzt die Wahrheit ans Licht bringen werde, sei er wichtig als Vehikel für offene Fragen und die Thematisierung von gesellschaftlichem Rassismus.

»Warum haben wir die Morde nicht selbst sofort richtig eingeordnet?«, mit dieser Reflexion über die eigene Reaktion auf den NSU beschäftigte sich Juliane Karakayali, aus Berlin angereiste Soziologieprofessorin und Mitglied des Netzwerkes »Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung«. Sie thematisierte das »Gefühl der Ohnmacht« angesichts der für den Nicht-Profi unüberschaubaren Informationen aus Untersuchungsausschüssen und Münchner Prozess sowie der vielen Ungereimtheiten, denen nicht wirklich nachgegangen werde. Das Münchner Gericht verhandele für sich, ohne dass es einen öffentlichen Druck und Diskussionen über die gesamtgesellschaftliche Einordnung der NSU-Morde gebe. Karakayali: »Der NSU ist kein UFO.« Sondern Teil einer politischen Bewegung.

Als übergreifendes Fazit der Diskutanten stand die Klage über eine zu geringe gesellschaftliche Diskussion, die den NSU-Prozess begleiten müsste. Speit brachte das mit dem Satz: »Ich bin empört, dass keine Empörung da ist« auf den Punkt. Und hat sich zwei Jahre nach der »Selbstenttarnung« des NSU irgendwas geändert? Zweifelhaft sei das, angesichts von Sarrazins Bucherfolgen und der jüngsten Einwanderungsdebatte der CSU um Rumänen und Bulgaren. Auch habe sich das Zeitfenster für eine kritische Hinterfragung von Institutionen wie dem Verfassungsschutz mittlerweile wieder geschlossen.

In der anschließenden Diskussion kritisierte ein Teilnehmer die Verengung des Blickwinkels auf das Gerichtsverfahren, damit aber würde die Aufklärung der Dinge an Profis abgegeben und womöglich der Blick auf das Wesentliche verstellt. Er vermisste unabhängige Analysen aus einer kritischen Öffentlichkeit heraus.

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