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Der Schlüssel des Erfolgs

Jochen Scheibe über seine Tätigkeit als Sportmediziner in der DDR

  • Thomas Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Titel des Buches erinnerte mich an den allgemein bekannten Slogan »Ich bin Bergmann, wer ist mehr«. Professor Jochen Scheibe, einst exponierter Sportarzt und parteiloser Christ, artikuliert bereits auf dem Cover seiner Erinnerungen selbstbewusst den Stolz auf seine frühere Tätigkeit in der DDR. Sein Buch ist zugleich eine indirekte Polemik gegen all jene, die die Sportmedizin der DDR seit über zwei Jahrzehnten vehement verteufeln.

Wenngleich sich Scheibe vorrangig mit der Sportmedizin an den Universitäten und Hochschulen - insbesondere der Friedrich-Schiller-Universität in Jena (FSU), wo er das »Institut für Sportmedizin« gegründet hatte - befasst, so kann er doch, dank verschiedener Funktionen einst, über die medizinische Betreuung für alle Sporttreibenden in der DDR sachkundig, ausführlich und detailliert Auskunft geben.

In einem Gespräch mit mir benannte Scheibe als Motiv dafür, dass er sich ans Schreiben machte: »Was wir mal mustergültig gemacht haben, soll mit unserem Ableben nicht verschüttet werden.« In seinem Buch beruft er sich auf das Lob aus dem Munde keines Geringeren als den Präsidenten des Deutschen Sportärztebundes Widor Hollmann: »Eine mustergültige Organisation war hier aufgebaut worden, unvergleichbar in der Welt.«

Wie ein roter Faden durchzieht den Text der Wunsch, die Vorzüge der Sportmedizin in Ost und West wären nach Herstellung der staatlichen Einheit zusammengeführt worden. Die Vorschläge, die von der ostdeutschen Seite gemacht wurden, sind in den Anlagen des Buches nachzulesen. Scheibe selbst hat sich vor allem für den Erhalt des Facharztes Sportmedizin eingesetzt. Nahezu alle diese Bemühungen scheiterten wie so viele andere auf anderen gesellschaftlichen Gebieten an der »Siegermentalität« westdeutscher Funktionäre und Entscheidungsträger sowie den in den Medien geschürten Vorurteilen und Vorwürfen.

Scheibe hatte, wie die Mehrzahl der Sportmediziner der DDR, nichts mit der Erforschung bzw. Verabreichung von Dopingmitteln zu tun. In seinem Buch erteilt der Arzt jeglicher Art Manipulation oder Stimulation eine deutliche Absage. Seine Warnung ist nicht nur an die Adresse von Sportlern gerichtet, sondern auch an Trainer, Ärzte und Betreuer.

Anders verhält es sich mit der Forschung zur Verbesserung sportlicher Ausrüstung. Scheibe war als Mitglied des sportwissenschaftlichen Teams der Jenenser Alma mater auch ein enger und kompetenter Vertrauter der Rennschlitten-Nationalmannschaft, der ich angehörte und deren Cheftrainer ich später war. Allein die in der Anlage 14 des Buches aufgeführten zwanzig Forschungsberichte belegen die intensiven Anstrengungen von Wissenschaftlern und Technikern, die der wahre Schlüssel des Erfolgs der DDR-Wintersportler waren. Ich jedenfalls weiß, dass meine Olympiasiege 1964 in Innsbruck und 1968 in Grenoble sich nicht nur meinen eigenen Trainingsanstrengungen verdankten, sondern vielseitiger Förderung und Betreuung.

Zu Recht kritisiert Scheibe, dass die Aufarbeitung des Themas Doping in der Bundesrepublik erst spät durch Studien an den Universitäten Berlin und Münster erfolgte, und die Untersuchungen in den 1990er Jahren enden. Was läuft seitdem? Es wird in der Bundesrepublik, systematisch gefördert und staatlich finanziert, weiterhin gedopt. Ein Delikt, für das Trainer, Ärzte und Sportfunktionäre der DDR strafrechtlich belangt worden sind.

Ich wünsche mir, dass Scheibes Buch nicht nur von Sportmedizinern gelesen wird, sondern auch Sportfunktionäre zum Nachdenken anregt, die bisher die Erfolge des DDR-Sports und damit auch der Sportmedizin nahezu ausschließlich auf die Anwendung von Doping reduzieren. Hier liegt eine objektive, sachliche Darstellung zu einem Kapitel DDR-Geschichte vor, das in der Regel seit dem Untergang des ostdeutschen Staates mit politischer Absicht und ideologischen Scheuklappen nur schwarz gemalt wird. Hans Modrow weist dies in seinem Vorwort überzeugend nach.

Einzige kritische Anmerkung: Scheibes großes Engagement als Sportarzt in der DDR verführt ihn mitunter zu subjektiven Bewertungen, die von mir und gewiss auch von anderen Sportlern und Trainern nicht geteilt werden.

Jochen Scheibe: Ich war Sportmediziner in der DDR. Verlag am Park. 236 S., br., 19,99 €.

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