Geld regiert die Welt

Landolf Scherzer, Juri Andruchowytsch und Rolf Hochhuth auf der Suche nach den Wurzeln für die Übel unserer Tage

Als Schweizer geboren zu werden, ist ein großes Glück. Es ist auch schön, als Schweizer zu sterben. Doch was tut man dazwischen«, fragte der österreichische Schriftsteller Alexander Roda Roda. Die Antwort scheint klar: Geld bunkern. Und Ausländer ausweisen.

Der Schweizer Bundesrat Alain Berset, der das Bonmot von Roda Roda zur Eröffnung der Buchmesse zitierte, antwortet diplomatischer: »Man verwirrt die Welt. Und danach erklärt man der verwirrten Welt die Schweiz.« Berset erntete dafür befreiendes Gelächter.

Unüberhörbar war dennoch des Kulturministers Unbehagen über das angeschlagene Image seines Landes - als Oase für kriminelle Steuersünder und fremden-unfreundliches Gastland (wenn man den Volksentscheid als Forderung nach einem Stopp des Zuzugs von Ausländern interpretiert). »Die bemerkenswerte Internationalität der Schweiz ist auch in Zukunft nicht gefährdet«, versicherte Berset. »Wir können uns als Schweizerinnen und Schweizer nicht nur durch Ablehnung und Abwehr definieren. Dafür sind unsere kulturellen Beziehungen auch untereinander zu komplex.« Nun ja, die kleine Eidgenossenschaft kennt allein vier Landessprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch, Räteromanisch. Hinzu kommt das »Sprachgewirr« von 24 Prozent Ausländern. So reich an Kulturen, dürfte sich die Schweiz doch freuen.

Literaten leben von Vielfalt, durchlässigen Grenzen und geistigem Austausch. Literatur ist in der Tat der natürliche Feind der Schlagworte, des »terribles simplificateurs«, wie der deutsch-schweizerische Kunsthistoriker Jacob Burckhardt dereinst die »schrecklichen Vereinfacher« nannte. Die Leipziger Buchmesse unterstreicht dieses Faktum. Vorurteile und Klischees, wie sie während der Euro-Krise zu hören und zu lesen waren, bietet sie keine Tribüne.

Sehr wohl aber nimmt sie sich dieser an - um sie zu zerpflücken, zu widerlegen, aufzulösen. Landolf Scherzer etwa hat keine »faulen Griechen« getroffen. Sein neuer Reportageband »Stürzt die Götter vom Olymp« (Aufbau-Verlag) will helfen, die Griechen und Griechenland zu verstehen. Der Grenzgänger wollte ergründen, was die wirklichen Gründe für die griechische Misere sind und welche Sorgen und Nöte die »kleinen Leute« bedrücken und umtreiben. Er begegnete Menschen, die sich ihren Stolz nicht nehmen lassen, nicht resignieren und die verschiedensten Überlebensstrategien entwickeln. Für seine Erkundungstour war Scherzer in die Rolle eines deutschen Touristen geschlüpft, der im »schlechtesten Hotel von Thessaloniki« abstieg, das ausgerechnet »Europa« hieß.

Ganz anders Martin Knapp. Der Wirtschaftsberater, der einige Jahre in Griechenland tätig war, wirft einen ironisch-distanzierten Blick auf den derzeitigen aufgeregten Politbetrieb und sozial-ökonomische Turbulenzen: Eine Recklinghäuser Firma will einen Freizeitpark auf dem Olymp errichten. Zeus ruft eine Versammlung der Götter und Halbgötter ein, es wird heftig disputiert, für und wider. Ja, die Deutschen könnten Arbeitsplätze schaffen, aber werden sie uns nicht über den Tisch ziehen? Das ist hier die Frage.

Bei der Edition GrößenWahn, in dem Knapps launige Fiktion »Olymp« erschien, edierte auch Edith Engelmann ihre gesellschaftskritische Novelle »Scherben vor Gericht«. Ein kühnes Stück, das man gern im realen Leben aufgeführt sähe: Der Premierminister und seine Regierungsmitglieder sitzen auf der Anklagebank. Ihnen wird der Spiegel ihrer Taten vorgehalten: Das gesamte Land liegt in Scherben! Wie konnte das passieren? Die Autorin gesteht, ein völlig unpolitischer Mensch gewesen zu sein, bevor sie in das sonnige Hellas zog. Was sie dort sah und erlebte, konnte sie nicht unberührt lassen: »Wenn der freundliche Nachbar seine Miete nicht mehr bezahlen kann und brutal exmittiert wird, wird man zwangspolitisiert.«

Geld regiert die Welt. Das Sprichwort hat sich mehr denn je in der Euro-Krise bewahrheitet. Geld entzweit nicht nur Familien, sondern auch Völker. Um des Geldes wegen wird geraubt, gezockt, gemordet. »Geld« ist noch bis Sonntag das übergreifende Thema der Lesungen und Gespräche im »Café Europa« in Halle 4, das vom (sic) deutschen Auswärtigen Amt betrieben wird.

Wie viel Euro kostet die Ukraine? Wie viel Rubel die Krim? Diese Fragen wird man wohl auf der Buchmesse nicht hören. Juri Andruchowytsch erzählte aber am Donnerstag, wie es auf den Maidan begann. Fast wehmütig klang seine Erinnerung an die Tage, da sich Hunderttausend und mehr friedlich auf dem Platz versammelt hatten. Und ein jeder, auch er selbst, sich als »ein Tropfen im Ozean« fühlte, stark, frei und selbstbewusst in der Gemeinschaft. Diese sei nun zerbrochen. Unerklärlich. »Wir gehören doch zusammen, haben die gleichen Bücher gelesen, dieselben Lieder gesungen.«

In Halle 4 finden sich übrigens hautnah beieinander die Stände der serbischen und kroatischen Verleger. Auch Tschechien und die Slowakei, die vor über 20 Jahren nicht mehr miteinander leben wollten oder konnten, sind hier gesellige Nachbarn. Literatur verbindet. Sagt man. Schön wär’s, wenn’s so einfach wäre.

Rolf Hochhuth erinnerte in der Glashalle der Messe an Kriege der Vergangenheit, die unzählige Toten russischer, französischer, deutscher, britischer Nation hinterließen. Wofür? »Die Völker Europas sind wie Lemminge, die sich auf die Klippen drängen, um sich in den Tod zu stürzen«, sagte der Dramaturg, der natürlich weiß, dass nicht Schlafwandler, sondern Gier und nationale Überheblichkeit im Sommer 1914 die Völker in den Krieg trieben.

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