Auf Socken gegen Chevron

Die Klage ecuadorianischer Anwohner gegen den Ölmulti geht in die Schlussphase

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 8 Min.
Er währt seit 21 Jahren und ist der größte Umweltprozess bis dato: die Sammelklage von ecuadorianischen Regenwaldbewohnern gegen den Ölmulti Texaco, der seit 2001 zu Chevron gehört.

Die Entschlossenheit hat in 21 Jahren nicht nachgelassen: »An Geldmangel wird der Prozess nicht scheitern. Zur Not werden wir vor Gericht ohne Schuhe auflaufen, aber wir werden die Sache bis zum Ende durchfechten!« Der ecuadorianische Anwalt Pablo Fajardo wirkt im Gespräch mit »nd« kämpferisch und optimistisch zugleich, obwohl er sich in der juristischen Auseinandersetzung mit dem US-amerikanischen Ölriesen Chevron, der sich 2001 Texaco einverleibt hat, einer gewaltigen Übermacht gegenübersieht. »Wir arbeiten mit einer Handvoll Rechtsanwälten in Ecuador und in ein paar involvierten Ländern wie Brasilien, Argentinien und Kanada, Chevron greift auf Hunderte hoch bezahlte Juristen zurück«, schildert Fajardo die Grundkonstellation.

Der seit vielen Jahren in der Provinz Sucumbíos, einem der von den Umweltschäden der Ölförderung betroffenen Amazonasgebiete, lebende Anwalt berät seit 2003 die »Vereinigung der von Texaco Betroffenen« (UdA). Seit 2005 vertritt er die Kläger auch juristisch vor Gericht in Ecuador. Dort ist das Verfahren gegen Texacos Rechtsnachfolger Chevron seit 2002 anhängig. Dabei war der ursprüngliche Plan ein anderer: »Die Klage im Namen von 48 Geschädigten wurde 1993 in New York eingereicht, weil die Kläger dachten, dass das ein geeigneter Gerichtsstandort sei. Schließlich wurde ein Großteil der Texaco-Investitionen über New Yorker Banken abgewickelt und es war davon auszugehen, dass Texaco die US-amerikanische Justiz respektieren würde«, schildert Fajardo die Ausgangslage. Stattdessen hintertrieb Texaco das Verfahren in New York und versuchte alles, es nach Ecuador zu verlagern. »14 ecuadorianische Anwälte, allesamt von Texaco bezahlt, haben dem Gericht in New York versichert, dass das ecuadorianische Justizsystem ehrenwert, transparent und über alle Zweifel erhaben ist und zu den besten der Welt gehört«, beschreibt der Anwalt Texacos Lobbyarbeit. Die hatte Erfolg: 2001 wies das New Yorker Gericht die Klage mit der Begründung ab, sie habe »sehr viel mit Ecuador und sehr wenig mit den Vereinigten Staaten zu tun«.

»1998 unterschrieb Texaco ein Abkommen, dass der Konzern bereit ist, sich der ecuadorianischen Rechtsprechung zu unterwerfen«, führt Fajardo aus. 1998 regierte in Ecuador noch Jamil Mahuad von der christdemokratischen Partei Democracia Popular und mit dem kam Texaco bestens klar: Sie schlossen einen sogenannten Ausgleichsvertrag, mit dem die Regierung anerkannte, dass die US-Firma alles sauber zurückgelassen habe und sie von jeder Verantwortung im Hinblick auf zukünftige Folgen ihrer Ölverwüstungen freisprach. Auf Letzteres beruft sich Rechtsnachfolger Chevron gerne, während der Multi die ecuadorianische Justiz schlicht ignoriert: Im November 2013 bestätigte der Oberste Gerichtshof Ecuadors das Urteil wegen Umweltverschmutzung aus dem Jahre 2011 in der Sache, halbierte die Strafzahlung jedoch auf 9,5 Milliarden Dollar.

In Ecuador ist der Rechtsstreit damit de jure abgeschlossen, de facto nicht, weil Chevron nicht zahlt, in Ecuador nicht tätig ist und somit dort auch keine Vermögenswerte hat, die für eine Beschlagnahmung infrage kämen. Deswegen hat sich der Rechtsstreit längst internationalisiert. »Wir arbeiten weltweit an verschiedenen juristischen Fronten und haben sehr gute Chancen in Kanada, Argentinien oder Brasilien«, schildert Fajardo das Vorhaben, auf Vermögenswerte von Chevron in anderen Ländern zuzugreifen. Länder, mit denen sogar Rechtshilfeabkommen bestehen, die die Konfiskation im Prinzip erleichtern, wie Fajardo erklärt.

Dabei gibt es durchaus Fortschritte: Mitte Dezember 2013 entschied ein Berufungsgericht im kanadischen Ontario, dass die Ecuadorianer die Konfiszierung von Chevron-Besitz in Kanada vorantreiben dürfen. Ähnlich urteilte ein Richter in Argentinien, doch der Oberste Gerichtshof hob dieses Urteil wieder auf. Fajardo hat Indizien für einen Deal zwischen Chevron und Argentiniens Regierung. Die sucht händeringend nach einem Investor für das riesige Schiefergasfeld vaca muerta (tote Kuh) in Patagonien, mit dessen Erschließung mittels des umstrittenen Fracking (Aufsprengung von Gesteinsschichten mit Hochdruck und giftigen Chemikalien) sich die Regierung Kirchner ihrer Energie- und Devisenprobleme gleichermaßen entledigen will. »Am 4. Juni 2013 hat der Oberste Gerichtshof den Gerichtsbeschluss aufgehoben; einen Monat später hat Chevron ein Abkommen in Sachen vaca muerta unterschrieben«, nennt Fajardo die Fakten. »Zufall?«, fragt er rhetorisch. Und legt nach: Chevrons Chef John Watson habe Venezuelas Präsident Nicolás Maduro eine drei Milliarden Dollar schwere Investition in die schwächelnde Erdölgesellschaft PDVSA versprochen, sollte es ihm gelingen, Ecuadors Präsident Rafael Correa zu überzeugen, die Strafverfolgung Chevrons zu unterbinden. Starker Tobak, aber dass Chevron unter allen Umständen verhindern will, für die Umweltschäden belangt zu werden, die Texaco während seiner Ölförderung im ecuadorianischen Amazonasgebiet von 1964 bis 1992 angerichtet hat, ist offensichtlich. Der Multi hat den Staat Ecuador vor dem Schiedsgericht in Den Haag verklagt, um ihn mit dem Verweis auf das Ausgleichsabkommen an seiner statt für die Umweltschäden in Haftung zu nehmen. In New York muss sich Steven Donziger, der 1993 im Namen der Geschädigten die Klage einreichte, eines Betrugsprozesses erwehren. Chevrons Grundargumentation: Donziger und andere Anwälte haben sich mit den ecuadorianischen Klägern zu einem Komplott verschworen, um die reiche Kuh Chevron zu melken. Donald Moncayo bringen diese Vorwürfe in Rage: »So ist es einfach nicht. Wir fordern nicht Geld für nichts, sondern wir wollen nur, dass Chevron für die Beseitigung der Schäden aufkommt.« Schäden, die Moncayo, der 1973 in Lago Agrio 200 Meter von einem der über 300 Bohrlöcher entfernt geboren wurde, aus eigener Anschauung zu beschreiben vermag: »Ich habe große Teile der Erdölförderung selbst erlebt. Ich bin über das Öl, das sie auf die Straßen geschüttet haben, zur Schule gelaufen, ich sah, wie die Flüsse, in denen ich badete, fast mehr aus Öl als aus Wasser bestanden. Fische sind gestorben, Vögel sind gestorben.« Zuerst sterben die Tiere, dann die Menschen. »Es gab viele Krankheiten in der Gegend. Das Baby meiner direkten Nachbarn ist nur wenige Monate alt geworden. Acht Frauen in meiner näheren Umgebung musste die Gebärmutter entfernt werden«, erzählt der 40-Jährige. »Von den traditionellen Völkern der Gegend sind zwei ausgestorben: die Tetete und die Secoya und die Cofán sind auf ein Drittel reduziert«, schildert Moncayo fatale Auswirkungen der Texaco-Aktivitäten.

Insgesamt betreffen die von Texaco angerichteten Umweltschäden 30 000 Menschen im ecuadorianischen Amazonasgebiet. Laut Moncayo und Fajardo hat Texaco Hunderte Becken à 60 auf 40 Meter für giftigen Müll ohne Sicherheitsvorkehrungen in den Urwald gegraben. Über 63 Milliarden Liter toxisches Abwasser aus Bohrlöchern, voll mit Schwermetallen, Salzen und anderen Umweltgiften, wurden laut den Klägern einfach oberflächlich verspritzt, tatt es in tiefe Gesteinsschichten zu »re-injizieren«, wie es Texaco in den USA aus Umweltschutzgründen praktizieren musste. In Ecuador sparte man sich diese teure Praxis. »Exxon Valdez in Alaska und Deepwater Horizon im Golf von Mexiko waren Unfälle, vielleicht vermeidbare Unfälle, aber eben Unfälle. Was Texaco in Ecuador gemacht hat, war kein Unfall. Das war systematische, rücksichtslose Umweltzerstörung«, weist Fajardo auf einen wichtigen Unterschied zu den bekanntesten Umweltkatastrophen der jüngeren Geschichte hin.

Noch sei aber nicht alles verloren: »Wir wissen, dass man nicht alles reinigen kann. Aber man kann 80 bis 90 Prozent der Schäden beseitigen und den Menschen wieder ein gesundes Leben ermöglichen. Dafür müssen der Boden und die Gewässer gereinigt werden, die bis heute Ölablagerungen bis in die Sedimente aufweisen«, benennt Moncayo das wünschenswerte Zukunftsszenario. So weit ist es aber längst noch nicht. Chevron behauptet, dass Texaco in den 90er Jahren 40 Millionen US-Dollar in die Beseitigung der Schäden gesteckt habe und danach bekanntlich das Ausgleichsabkommen mit der ecuadorianischen Regierung geschlossen worden sei Kurz: Chevron sei aus dem Schneider.

Unterstützung erhält die Betroffenenorganisation UdA von der Regierung Correa. »Rafael Correa war schon vor seiner Präsidentschaft in der Region und interessierte sich für den Fall. Als er dann gewählt wurde, gingen wir auf ihn zu, weil wir davon ausgingen, dass er der Sache wohlwollend gegenübersteht«, erläutert Fajardo das Verhältnis zum Präsidenten. Correa enttäuschte sie nicht. »Wir haben ihn zwei, drei Mal seit 2007 getroffen und es gab Hilfe für die Opfer bei der Versorgung mit Wasser, Gesundheit und Bildung. Es fehlt noch vieles, aber es wurde ziemlich viel gemacht«, erzählt Fajardo.

Über die lokale Ebene hinaus hat die Regierung Correa im September 2013 die Kampagne »la mano sucia de chevron« (Die schmutzige Hand von Chevron) gestartet, mit der der US-Multi öffentlichkeitswirksam an den Pranger gestellt werden soll. »Wir fordern alle unsere Freunde und Freundinnen in Europa und der ganzen Welt auf, ihre Ablehnung der Übermacht solcher multinationaler Unternehmen kundzutun, die unsere Umwelt zerstören und ihre Hände dann in Unschuld waschen«, so Correa. Fajardo und Moncayo sind für diese Unterstützung ebenso dankbar wie für die vielen Kleinspender_ innen, die mal 50 Cent, mal einen Dollar spenden, weil sie mehr nicht entbehren könnten. Millionen Ecuadorianer_innen würden so ihre Unterstützung demonstrieren. Möglich ist das dank der Webseite www.texacotoxico.org/donaciones weltweit. »Es geht nicht nur um Chevron/Texaco, es geht nicht nur um Umweltrechte. Sondern es geht darum, dass die Straflosigkeit für Konzerne gebrochen werden muss. Wenn Chevron zahlen muss, wird ein Präzedenzfall geschaffen, der allen Multis zu denken geben wird. Dann müssten sie sich künftig an das Recht halten, wenn sie nicht das Risiko hoher Entschädigungszahlungen in Kauf nehmen wollen. Wir fordern nicht mehr als Gerechtigkeit. Und dafür werden wir weiterhin kämpfen, zur Not ohne Schuhe«, so Fajardo. Die Entscheidung ist nicht mehr weit, dieses Jahr oder nächstes, blickt er optimistisch in die Zukunft. Der Riese Chevron wankt, gefallen ist er noch nicht.

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