Die Seele bleibt jung

Heidi Huß über »Gunda, Clara, du und ich«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn es den Werbeslogan »junge Großstadtliteratur« gibt, warum dann nicht auch »Kleinstadtprosa für Ältere«? Sind letztere nicht die eifrigeren Leser, vielleicht einfach nur, weil sie mehr freie Zeit haben?

Aber das Bild stimmt nicht ganz. Heidi Huß, Jahrgang 1939, lange Lehrerin, ist in Chemnitz zu Hause, also fern jeglicher Kleinstadtidylle. Ihre »Kurzgeschichten« - keine pointierten Short Storys, sondern Erzählungen im nachdenklichen Ton - handeln indes in den verschiedensten Ecken des Landes. Durchaus nicht nur von ihr selbst, wie man es bei Autoren, die spät zu schreiben begannen, häufig hat.

Sich der eigenen Erlebnisse, der eigenen Lebenserfahrungen zu vergewissern, für viele ist es ein Schreibanreiz, durchaus auch mit Blick auf Verwandte und Bekannte. Dagegen ist das Herangehen von Heidi Huß von vornherein ein literarisches. Sie erzählt Geschichten, in denen man den verschiedensten Leuten begegnen kann. Manches mag sich ereignet haben, manches ist aber auch erdacht.

Viele Frauen kommen darin vor, Frauen, die, ob jünger oder älter, etwas vom Leben erwarten - aber nicht in dem Sinne, dass es ihnen geschenkt würde. Das Tätigwerden, in welcher Situation auch immer, ist ein ermutigendes Leitmotiv, das sich durch alle diese Texte zieht. Aufbrüche und Ausbrüche - Bewegung beginnt im Geistigen und ist an kein Lebensalter gebunden. Auch junge Leute können sich in starre Verhältnisse fügen und das Eigene verleugnen.

Bei Heidi Huß tun das weder die Jungen noch die Alten. Klar, dass man für solch eine Haltung etwas riskieren muss. Und schön, wenn man Menschen findet, die verstehen und helfen.

»Solidarität ist weiblich« heißt es an einer Stelle. Ds mag wie ein Klischee klingen, aber erzählt wird im einzelnen, wie sich solche Glücksfälle ereignen. Es kann ja auch anders sein: Frauen gibt es, die sich zu Sachwalterinnen der Verhältnisse machen, noch besonders beflissen vielleicht. Einst selbst geduckt, wollen sie, dass auch andere sich beugen.

Die Autorin dieser Texte scheint als freie Person herangewachsen und so geblieben zu sein. Wer ihre Texte liest, erfährt ihr Credo (das freilich niemals so in Worte gefasst ist): Alles mögliche kann geschehen, du sollst über niemanden schlecht denken und helfen, wenn du kannst. Und, vielleicht auch das eine Wahrheit, die ganz jungen Leuten noch nicht zugänglich ist: Es hört niemals auf - das Hoffen, das Sehnen, das Träumen, das Lieben.

Auch wenn man es den Alten nicht ansieht, bei vielen ist die Seele jung. Doch es ist wohl eine Kunst für sich, die »wundervollen langen Tage« auch wirklich zu genießen, ein Miteinander zu organisieren, wenn es sich nicht von allein ergibt, mit dem Verlust von Freunden fertig zu werden, die Erinnerungen an die Dahingegangenen zu pflegen, immer wieder Schwäche zu überwinden, andere nicht in miese Stimmungen hineinzuziehen, sondern sie aufzumuntern nach Kräften. Zu all dem will Heidi Huß Mut machen - mit einfachen, eingängigen Worten.

Heidi Huß: Gunda, Clara, du und ich. Neunzehn Kurzgeschichten und zwei Gedichte. Nora Verlag. 83 S., br., 10 €.

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