Im Exil mit Ernst Toller

Anna Funders Politthriller um einen schreibenden Antifaschisten

  • Werner Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Ihren neuen Roman beschließt die australische Schriftstellerin und Juristin Anna Funder mit einem Anhang, der ihre Quellen auflistet und kommentiert, sowie mit einer Danksagung, die ihr poetologisches Konzept skizziert: Ihre Geschichte gehe zwar von bekannten Tatsachen aus, doch habe sie »Verbindungen geknüpft und Vermutungen angestellt«. Herausgekommen ist ein historischer Roman, garniert mit Versatzstücken eines Politthrillers. Anna Funder lässt anhand der Lebensgeschichte von Ruth Becker ein Panorama des Exils aufscheinen. Im Mittelpunkt stehen der bekannte Schriftsteller, Antimilitarist und Antifaschist Ernst Toller und die linkssozialistische Aktivistin Dora, die zeitweilig als Tollers Sekretärin gearbeitet, dessen Texte aus Nazideutschland herausgeschmuggelt hat und ein lockeres intimes Verhältnis zu Toller unterhielt. Die Geschichte umfasst einen Zeitraum von rund achtzig Jahren.

Ihre Erzählperspektiven verteilt die Autorin einerseits auf die Berichte Tollers, andererseits auf die Lebenserinnerungen Ruths, die 2001 als 95-Jährige Stationen ihres Lebenswegs erzählt. Der beginnt Mitte der 20er Jahre, als sie dem gefeierten Bühnenautor Toller begegnet, dessen Stücke wie »Masse Mensch« bereits zu Zeiten der Weimarer Republik für Kontroversen und Aufruhr gesorgt haben, um dann den Anfangsterror der Nazis zu schildern: eine Hatz auf die gesamte Linke, bei der sich die Protagonisten auf Seiten der USPD, dann in deren Nachfolgepartei organisieren, nicht ohne dabei stets ihre Unabhängigkeit von allem Doktrinären zu betonen.

Toller wie auch die beiden Frauen emigrieren nach London, wo sie ständigen Behördenschikanen und auch Zugriffen der Nazis, die z. B. einen offiziellen Club in der Stadt pflegen, ausgesetzt sind. Dennoch engagieren sich die Frauen, vor allem die ältere Dora, weiter im antifaschistischen Widerstand, nutzen alte Verbindungen und internationale Netzwerke, um Aufklärungsarbeit über das Nazi-Regime zu leisten.

Als Ruth in einem Londoner Hotelzimmer die Leichen Doras und einer weiteren Freundin finde, stellt sich die Frage: War es Selbstmord aus Resignation und Verzweiflung, wie man wohl einige Jahre später im Falle Tollers annehmen darf, oder doch vielmehr geplanter Mord? Die englischen Behörden legen den Fall schnell zu den Akten, nur Ruth, die unmittelbar zuvor noch mit dem Verrat ihres Partners Hans, der sich den Nazis angedient hat, konfrontiert worden ist, gelingt es nach und nach, die wirklichen Zusammenhänge aufzuklären.

»Anna Funder bringt Licht in eine der mysteriösesten Geschichten des Exils«, wirbt der Verlag. Zweifellos ist ihr ein packendes Buch über drei außergewöhnliche Menschen gelungen, das auf beeindruckende Weise nicht nur das Schicksal von Emigranten vor Augen führt, sondern auch die Notwendigkeit eines antifaschistischen Engagements - jenseits einer bestimmten Parteizugehörigkeit.

Anna Funder: Alles was ich bin. Roman. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag. 432 S., geb., 19,99 €.

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