Beim Verfassen eines Flugblatts

Zum Tode des linken Theoretikers Ernesto Laclau

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer jemals an politischen Bewegungen teilgenommen hat, kennt das Gezerre um Flugblätter. Gerade, wenn man glaubt, alle Klippen umschifft zu haben, taucht irgendjemand auf und verkündet im Brustton des nachhaltig Agitierten, dieser oder jener Satz gehe ja nun gar nicht, da er zum Beispiel »kleinbürgerlich« sei.

Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Ernesto Laclau, der 1935 in Buenos Aires geborene und am 13. April in Sevilla verstorbene Theoretiker, sein Lebenswerk auf diese Standardsituation gegründet hat: In den 1960er Jahren musste er als Studentenvertreter und Führungsmitglied der »Sozialistischen Partei der Nationalen Linken« vermutlich viele Flugblätter verfassen. Dabei empfahl der junge Laclau, der sich mit dem europäischen Faschismus befasste und zugleich gegen den Peronismus anrannte, eine breite Bündnispolitik - und wurde als »Kleinbürger« attackiert. Konkret ging es oft um die »nationale Frage«. Oder, in Laclaus Jargon, um die »demokratische oder nationale Anrufung des Volkes«.

Diese, so seine Kritiker, verbiete sich per se, sei doch die Nation eine »bürgerliche« Ideologie. Laclau erwiderte darauf folgendes: Während die Linke immer wieder daran gescheitert sei, im entscheidenden Moment die richtigen Verbindungen herzustellen, seien Bewegungen wie der Faschismus oder der lateinamerikanische Populismus offenbar in der Lage gewesen, »Elemente aus der revolutionären Tradition« aufzunehmen und in ihrem Sinne praktisch werden zu lassen, schreibt er in seiner Abhandlung über »Politik und Ideologie im Marxismus«. Wieso sollte es also nicht möglich sein, umgekehrt Elemente aus der »bürgerlichen« Ideologie aufzunehmen?

Aus dieser Volksfrontposition zog Laclau weitreichende Schlüsse. Er meine, heißt es in der erwähnten Schrift weiter, dass »die richtige Methode« darin bestehe, »anzunehmen, dass ideologische Elemente, isoliert betrachtet, keine notwendige Klassenkonnotation haben, und dass diese Konnotation erst das Resultat der Artikulation dieser Elemente in einen konkreten ideologischen Diskurs ist«. Ideologiekritik heißt demnach nicht etwa, bürgerliche Elemente in politischen Positionen zu skandalisieren, sondern herauszufinden, was an diesen bürgerlich ist - und ob sich diese »Artikulation« von Idee und Trägerschaft aufbrechen lässt. Es ist eine Tragik Laclaus, dass er, nachdem er 1969 Richtung Europa gezogen war, seine Anstrengungen stark auf eine philosophische Untermauerung dieses »anti-reduktionistischen« Arguments konzentrierte. So wurde sein »Postmarxismus«, sein mit der belgischen Theoretikerin Chantal Mouffe verfasstes Hauptwerk, das von der »Dekonstruktion des Marxismus« kündet, als Kronzeugenschrift einer nunmehr anti-ökonomistischen, kulturalistisch gewendeten Sozial- und Politikwissenschaft benutzt.

Dabei beziehen sich die beiden selbst durchaus positiv auf z. B. die meist als »neomarxistisch« (ab)qualifizierte »Regulationsschule«, die seit den 1970ern versucht, die damals einsetzende »Wirtschaftskrise« des Kapitalismus mit Antonio Gramsci als Übergang von einer »fordistischen« zu einer »postfordistischen« Formation zu fassen - als Aufbrechen einer eingeschliffenen »Artikulation« von Produktionsweise und Leben zugunsten einer neuen. Mit Laclau kommt es nur darauf an, die zweite Formation nicht einfach aus der ersten abzuleiten - um für Brüche in der »Hegemonie« nicht blind zu werden.

Jenes postmoderne »Alles geht«, das zuweilen in seinen Schriften gelesen wird, hat Laclau also nie gedacht. Er glaubte nicht, ein jeder könne jeden »Begriff besetzen«. Wenn nämlich eine Idee und eine Trägerschaft einmal historisch verbunden seien, setzten Prozesse der »Sedimentierung« ein, die andere mögliche »Artikulationen« verblassen ließen. So ist, wie der ebenfalls jüngst verstorbene »New Left«-Denker Stuart Hall einmal klarmachte, der emanzipatorische Bezug auf Religion in einem europäischen Umfeld kaum möglich - ganz anders als etwa im karibischen Rastafariglauben oder bestimmten lateinamerikanischen Traditionen des Katholizismus. Damit ein Zeichenkomplex in dieser Art angeeignet werden könne, müsse er »entleert« werden. Und genau darin sah Laclau die eigentlich politische, nämlich »hegemoniale« Arbeit.

Insofern müssen, um zum Eingangsproblem zurückzukehren, hierzulande Laclaus wegen nicht alte Schützengräben neu bezogen werden: In Deutschland mit seiner langen, nur schwer zu »entleerenden« Tradition eines ausschließenden, biologischen Volksbegriffs hätte er kaum zu einer »Besetzung« der nationalen Chiffre geblasen. Ganz anders blickte er dagegen auf sein Heimatland Argentinien: Obwohl der dortige »Kirchnerismus« (und mehr oder minder vergleichbare lateinamerikanische Regierungen) in manchen Formen durchaus auch an den von ihm einst bekämpften Peron-Populismus erinnert, hat Laclau diese Regierungen stets unterstützt - ganz anders als viele der tatsächlich und im polemischen Sinn »postmodernen« Adepten seiner Theorie.

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