Selfie mit 'nem Warlord

  • Emran Feroz
  • Lesedauer: 3 Min.

In Afghanistan tummeln sich zahlreiche westliche Journalisten. Nicht wenige von ihnen tragen eine Art Kolonialisten-Brille und verbreiten regelmäßig ihre meist einseitige Sicht der Dinge in den renommiertesten Zeitungen der Welt. Im Grunde genommen nichts Neues.

Makaber wird das Ganze jedoch, wenn diese Journalisten Selbstporträts, die via Smartphone aufgenommen wurden (sogenannte Selfies), in sozialen Netzwerken in Umlauf bringen und sich darauf mit Kriegsverbrechern zur Schau stellen.

Genau das hat vor Kurzem Kevin Sieff, Afghanistan-Korrespondent der »Washington Post«, gemacht. Auf dem Foto, welches via Twitter die Runde gemacht hat, sieht man Sieff neben Abdul Rasoul Sayyaf, einem einschlägig bekannten afghanischen Kriegsfürsten, der sich unter anderem für die jüngsten Präsidentschaftswahlen aufstellen ließ.

Sayyaf wird von mehreren Menschenrechtsorganisationen für zahlreiche Verbrechen und Massaker, vor allem während des afghanischen Bürgerkriegs, verantwortlich gemacht. Heute präsentiert sich der Mann, dessen Erscheinung ein wenig an den Weihnachtsmann erinnert, als vermeintlich wortgewandter Politiker.

Der Schein trügt: In seiner Heimatprovinz Paghman regiert Sayyaf weiterhin wie ein Tyrann. Auf einen der größten Hügel der Provinz hat er sich eine Festung errichtet, wo er aus Angst vor den Taliban – diese haben ihn auf ihrer Todesliste – die meisten Zeit verbringt. Es ist allseits bekannt, wie viele Zivilisten und wahrscheinlich auch namenlose Journalisten und Aktivisten von Sayyafs Milizen gefoltert und missbraucht wurden oder den Tod fanden. Genauso wie bekannt ist, dass Sayyaf, der einst von den US-Amerikanern gegen die Sowjets aufgerüstet wurde, bis heute mehr oder weniger amerikanische Interessen innerhalb Afghanistans vertritt.

Vielleicht war das auch der Grund, warum Kevin Sieff keine Hemmungen hatte und sich zu einem »Selfie« mit Sayyaf verleiten ließ. Für manche mag das witzig sein, so ein Foto mit dem klassischen »Duckface«. Für andere hingegen ist es eine makabere Zurschaustellung, die nichts mit seriösem Journalismus zu tun. Eine Ohrfeige für all jene, die durch Sayyaf bis heute leiden und unterdrückt werden. Man stelle sich vor, ein westlicher Journalist der »Washington Post«, »New York Times« oder des »Spiegel« hätte ein solches Foto mit dem serbischen Ratko Mladic oder mit Ugandas Joseph Kony aufgenommen. Der Aufschrei wäre zu Recht groß gewesen.

Der Grund erklärt sich von selbst. Man posiert auf Fotos nun mal nicht mit einem Kriegsverbrecher, wie er im Buche steht. Im Fall von Afghanistan ist das jedoch schlichtweg egal. Dort meinen nicht wenige Europäer oder US-Amerikaner der Journalisten-Zunft, dass sie »cool« seien, wenn sie sich mit kriminellen Kriegsfürsten ablichten lassen, Loblieder auf sie singen oder sich mit ihnen in gebrochenem Dari unterhalten. Den afghanischen Beobachter nervt dieses neo-kolonialistische Getue allerdings mit der Zeit.

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