700 Jahre Geschichte für ein Jahr Strom

Das sächsische Pödelwitz soll abgebaggert werden. Viele Bürger ziehen freiwillig weg, einige aber widersetzen sich

  • Hendrik Lasch, Pödelwitz
  • Lesedauer: 5 Min.
Erneut soll in Sachsen ein Dorf der Braunkohle weichen. Die Mehrzahl der Bewohner zieht freiwillig weg. Einige aber denken nicht daran, den 700-jährigen Ort preiszugeben.

Auf den Wegweisern können sie noch miteinander leben. Am Rand der Bundesstraße B 176 weist ein gelber Pfeil nach Pödelwitz, ein weißer, der in die gleiche Richtung zeigt, zum Tagebau »Vereinigtes Schleenhain«. So hätte es bleiben sollen. »Pödelwitz sollte stehen bleiben«, sagt Jens Hausner in seinem Haus in dem Dorf südlich von Leipzig. Jetzt soll es anders kommen. Der Wegweiser nach Pödelwitz könnte 2018 abgeschraubt werden, weil der Ort dann verlassen sein soll. 2028 würden sich dort, wo jetzt noch Hausners Hof steht, Bagger in ein Kohleflöz fressen. Das 700-jährige Dorf führe im Wortsinn in die Grube.

Noch vermag man sich das mögliche Ende nicht vorzustellen. Der Ort verbreitet ländlichen Charme. Neben der Kirche wachsen dicke Zwiebeln in einem Bauerngarten, hinter der Bushaltestelle gackern Hühner, und auf den Rabatten in Hausners Bauernhof blüht es prächtig. Zwar gibt es im Ort weder Laden noch Kneipe oder Arzt, aber das stört Hausner nicht: Es sei, sagt der 48 Jahre alte Landwirt, »ein wunderbares Dorf«.

Das sehen nicht alle Pödelwitzer so. Zwischen 80 und 90 Prozent der Bewohner - die Angaben gehen auseinander - wollen wegziehen. Freiwillig, betont Sylvia Werner, Sprecherin der »Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft mbH« (Mibrag): »Die Initiative zur Umsiedlung ging von den Bürgern aus.« Sie fliehen vor dem Tagebau, obwohl er Pödelwitz, anders als das 2008 nach langem Streit abgebaggerte Heuersdorf, verschonen sollte. Die ursprünglichen Planungen sahen »die Inanspruchnahme nicht vor«, sagt Werner. Allerdings war auch viel von Staub und Lärm die Rede, denen die Anwohner ausgesetzt wären. Immerhin sollen sich die Bagger, die unweit vom Ortsschild gerade das zweite Abbaufeld des Tagebaus eröffnen, später hart am Ortsrand entlangfräsen. In welch düsteren Farben die Folgen geschildert wurden, ist offen. Die Gesetze, sagt Hausner, verpflichteten die Mibrag zum Schutz der Anwohner vor Krach und Dreck. Viele der 130 Pödelwitzer wählten bei einer Befragung durch die Mibrag jedoch den Wegzug als kleineres Übel.

Unglücklich wird das Bergbauunternehmen darüber nicht sein. Unter Pödelwitz liegen 11,4 Millionen Tonnen Braunkohle. Das reicht, um das nahe gelegene Kraftwerk Lippendorf ein Jahr lang zu befeuern - und dürfte der Mibrag ein ursprünglich nicht geplantes zusätzliches Sümmchen in die Kassen spülen. 2012 förderte sie knapp 19 Millionen Tonnen Kohle und erzielte einen Überschuss von gut 83 Millionen Euro. Dank der Umsiedlung von Pödelwitz könnte man mehr Kohle fördern - und sich den teuren Lärmschutz für das Dorf sparen.

Anfragen nach diesen Aspekten indes übergeht man geflissentlich. Erklärt wird dagegen, dass ein Vertrag zur Umsiedlung ausgearbeitet ist und im April der erste Spatenstich für ein Wohngebiet im Nachbarort Groitzsch erfolgte, in das 15 von 42 Pödelwitzer Familien ziehen. Weitere haben anderswo gebaut oder gekauft. 70 Prozent der Pödelwitzer Eigentümer, sagt Werner, hätten ihr Grundstück schon an die Mibrag abgetreten.

Das von Hausner ist nicht dabei. »Wir verhandeln mit denen nicht«, sagt er. Auch sein Nachbar Thilo Kraneis, Inhaber eines kleinen Metallbetriebes, will »den Verlockungen des Geldes widerstehen«. Seine Familie zog 1982 aus Droßdorf nach Pödelwitz - weil ihr früherer Wohnort vom Tagebau verschlungen wurde. Damals, sagt Kraneis, »habe ich mir geschworen: Das passiert nicht noch einmal«. Hausner wiederum erzählt, dass der Hof mit der großen Fachwerkscheune seit dem 17. Jahrhundert im Familienbesitz seiner Frau ist. »Wir haben ihn von früheren Generationen ererbt«, sagt er, »wir dürfen ihn nutzen, und dann geben wir ihn an spätere Generationen weiter.«

Ob das gelingt, ist offen. Hausner und seine Mitstreiter haben mächtige Gegner: den Energiehunger im Land, eine sächsische Energiepolitik, die zu seiner Befriedigung vorrangig auf die heimische Braunkohle setzt, dazu das Renditestreben und die Arbeitsplätze des Bergbauunternehmens. Dem haben sie scheinbar wenig entgegen zu setzen: ein paar Häuser mit langer Geschichte, die Tradition eines Bauerndorfs, ihr Recht auf Heimat.

Dass so etwas im Zweifelsfall wenig zählt, hat man in zahlreichen anderen Dörfern erfahren: in Schleenhain und Leipen, Piegel und Peres, die vor 1989 ohne viel Federlesens geräumt wurden; in Orten wie Breunsdorf und Heuersdorf oder den Lausitzdörfern von Lakoma bis Horno, die nach 1989 auch jahrelanger Widerstand und Klagen nicht retteten.

Vor Gericht ziehen würde notfalls auch Jens Hausner; allerdings »gibt es bis jetzt nichts, wogegen man klagen könnte«, sagt er. Die Grünen im sächsischen Landtag hatten kürzlich herausgefunden, dass derzeit »keine rechtliche Grundlage« für den Abbau der Kohle unter dem Dorf bestehe. Fraktionschefin Antje Hermenau hatte gefragt, mit welcher Begründung der Tagebau auf ein Areal erweitert werden dürfe, das im Braunkohlenplan dafür nicht vorgesehen sei. FDP-Wirtschaftsminister Sven Morlok erwiderte, die Grube könne »nicht auf im Braunkohlenplan nicht ausgewiesene Gebiete ausgedehnt werden«. Hermenau schöpft aus der Antwort »Hoffnung für Pödelwitz«. Die Mibrag aber versichert, dass die Ortslage schon in jetzt geltenden Plänen als »Rohstoffvorbehaltsgebiet« ausgewiesen sei, und erklärt, man werde sich um weitere Genehmigungen »fristgemäß« bemühen. Widerspenstig dürften die zuständigen Behörden kaum reagieren. Schließlich verweist Morlok ausdrücklich auf das gesetzliche Gebot einer »optimalen Lagerstättenausnutzung«. Eine »wesentliche Voraussetzung« dafür sei mit der freiwilligen Umsiedlung geschaffen.

Der freilich widersetzt sich bisher die - wenn auch kleine - Gruppe um Hausner und Kraneis. Die »nd«-Frage, was den Dorfbewohnern droht, die nicht freiwillig das Feld räumen, lässt die Mibrag-Sprecherin allerdings unbeantwortet. Minister Morlok teilt den Grünen mit, er hoffe auf eine »einvernehmliche« Lösung zwischen Mibrag und Einwohnern. Hausner und seine Mitstreiter sind von solchen Äußerungen enttäuscht. »Man übergibt die Bürger dem Unternehmen«, sagt der Landwirt. Er registriert auch verärgert, dass der Wirtschaftsminister zwar Bürgerwiderstand gegen Windkraft überall im Land tatkräftig unterstützt, nicht aber die Proteste gegen den Braunkohlebergbau. Morlok »meint, die Windräder verschandeln die Landschaft«, sagt Hausner und lacht sarkastisch. »Wenn hier die Bagger kommen«, fügt er an, »gibt es keine Landschaft mehr.«

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