Das Schreckgespenst ist weg

Marx und die Kirche sind für den US-Kommunisten Tim Yeager keine Widersprüche

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.
Seine Engagements als episkopaler Priester in Chicago und als Gewerkschafter und Kommunist liegen für Tim Yeager nah beieinander. Denn was für die Kirche die christliche Nächstenliebe ist, das ist für die Kommunisten in den Vereinigten Staaten die sozialistische Solidarität.

Stellt die Menschen vor die Profite«, das ist das Motto der Generalversammlung der Kommunistischen Partei der USA (CPUSA). Nur alle paar Jahre findet dieses Event statt - letztes Wochenende in Chicago war es wieder so weit. Vom Klimawandel bis zum Weltfrieden diskutierten die amerikanischen Kommunisten jedes erdenkliche Thema. Ein Thema, das dabei vielleicht immer etwas mehr mitschwang, als es in Deutschland getan hätte, ist die Religion.

Denn die geografische Nähe der USA zu Lateinamerika macht sich auch politisch bemerkbar. In den 1960er Jahren entstand dort die Befreiungstheologie, die Christentum mit Marxismus verband. Und auch in den USA haben die Kommunisten wenig Berührungsängste mit der Religion. So gibt es in der CPUSA eine Kommission, die religiöse Angelegenheiten erörtert. »Diese Fragen sind wichtig, weil die Menschen in den USA sehr religiös sind«, erzählt Tim Yeager, langjähriges Mitglied der Kommission.

Yaeger ist das, was so mancher atheistischer Linker als wandelnden Widerspruch bezeichnen würde. Denn er ist Kommunist, Gewerkschafter und Priester in einer Person. Doch Marxismus und Christentum liegen für Yaeger nicht weit auseinander. So ist die christliche Nächstenliebe für ihn im Grunde das gleiche Prinzip wie die sozialistische Solidarität.

Nun sitzt Yeager in der Parteizentrale der LINKEN in Berlin und trinkt Tee mit einem Schuss Milch. Ein Freund aus alten Tagen hatte ihn nach Berlin eingeladen, doch lange hat sich der episkopale Priester aus Chicago dagegen gesträubt. »Ich wollte über dem Grab von Rosa Luxemburg kein Coca-Cola-Zeichen sehen«, erklärt er sein Zaudern. Denn es ist nicht sein erster Trip nach Berlin, aber der erste nach der Wende. 1973 kam der aus Iowa stammende Yeager zum ersten Mal nach Ost-Berlin. Damals war er Teil einer Delegation der Jugendorganisation der CPUSA zu den Weltfestspielen der Jugend.

Zwar war die CPUSA nie offiziell verboten, doch in Zeiten des Kalten Krieges und der Kommunistenverfolgung in den 1940er und 1950er Jahren überzog die US-Justiz ihre bekannten Mitglieder mit Verfahren. »Deswegen kannte man damals die wenigsten Mitglieder«, erzählt Yeager. Als er sich im Zuge der Proteste gegen den Vietnam-Krieg und der antirassistischen Kämpfe der Black Panther Party politisierte und sich schließlich der CPUSA anschloss, war er in Iowa wahrscheinlich das erste neue Parteimitglied seit einem Jahrzehnt, meint Yeager. Und auch heutzutage verfügt die Partei nach einem Aufschwung in den 1970ern nur über wenige tausend Mitglieder.

Zumindest hat der Verfolgungsdruck seit dem Ende des Kalten Krieges nachgelassen. »Das Schreckgespenst ist verschwunden«, meint Yeager. Auch wenn der Niedergang der Sowjetunion aus seiner Sicht ein großer Verlust für die Linken weltweit war, half es den US-Kommunisten auf seltsame Art und Weise: »Keiner kann mehr sagen, dass man Agent der Sowjets ist. Die Amerikaner sehen, dass die Kommunisten immer noch da sind und immer noch Amerikaner sind.«

Langsam interessieren sich sogar immer mehr US-Bürger für den Sozialismus. »Sie wissen zwar nicht genau, was das ist. Aber sie wissen, dass es demokratischer als das kapitalistische System ist«, meint der kommunistische Priester. Die Menschen würden seit Ausbruch der Finanzkrise realisieren, dass die Banken und die großen Konzerne das Land zum Falschen hin verändern.

Zu einer gesellschaftlich bedeutenden Kraft ist seine Partei deswegen jedoch nicht geworden. So verzichtet sie seit 1984 darauf, zu den Präsidentschaftswahlen einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Der letzte Kandidat erhielt damals marginale 0,04 Prozent aller Stimmen. Deswegen unterstützten die Kommunisten US-Präsident Barack Obama bei den Wahlen. »Schließlich muss man als Marxist mit den fortschrittlichen Kräften zusammenarbeiten, die es auch gibt«, erklärt Yeager. Und diese fortschrittlichen Kräfte sahen sie bei Obama, der versucht, mit seiner Gesundheitsreform quasi eine gesetzliche Krankenversicherung einzuführen. »Dies ist zwar nur eine kleine Reform«, meint Yeager. Das Ziel für Sozialisten sollte sein, diese Reform weiter nach links zu einem sozialistischeren Modell zu bewegen.

»Doch jetzt müssen wir die Reform erst mal verteidigen«, erklärt Yeager. Denn auf der anderen Seite im Klassenkampf steht die ultrakonservative Tea-Party-Bewegung. In ihrer fundamentalen Opposition zur Sozialpolitik Obamas setzten sie die Republikaner so sehr unter Druck, dass sie damit die USA im Oktober 2013 fast in die Zahlungsunfähigkeit trieben. Damals verweigerten die republikanischen Kongressabgeordneten Obama so lange ihre Zustimmung zu seinem Haushaltsplan, dass bereits 400 000 Staatsbedienstete in Zwangsurlaub geschickt werden mussten, bevor es zu einer Einigung kam.

»Mit ihren Millionen an Dollar und Reichtum wollen sie die Arbeiterbewegung zerstören«, fasst Yeager das Ziel der Tea-Party-Bewegung zusammen. Ob er mit seinen Mitstreitern gegen diese finanzielle Übermacht gewinnen kann?

»Natürlich. Ich bin Kommunist! Wir sind alle Optimisten!« Über Luxemburgs Grab prangt schließlich auch kein Coca-Cola-Zeichen.

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