»Kein Grund zum Jubeln«

Nach dem Kompromiss um die besetzte Kreuzberger Schule herrscht Erleichterung, nur nicht beim Innensenator

  • Malene Gürgen
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Sperrgürtel um die Schule ist aufgebrochen. Doch wie es mit den Flüchtlingen weitergeht, bleibt weitgehend unklar. Berlins Innensenator will »keine Vorzugsbehandlung«.
Eine Unterschrift, die nicht das Ende des Kampfes bedeutet: Die Geflüchteten in der Gerhart-Hauptmann-Schule können zwar in dem Gebäude bleiben, ein Bleiberecht für Deutschland haben sie aber nicht erstreiten können.
Eine Unterschrift, die nicht das Ende des Kampfes bedeutet: Die Geflüchteten in der Gerhart-Hauptmann-Schule können zwar in dem Gebäude bleiben, ein Bleiberecht für Deutschland haben sie aber nicht erstreiten können.

Es sieht wieder anders aus im Kiez rund um die Ohlauer Straße in Berlin-Kreuzberg: Die Polizei hat die Absperrungen abgebaut und den größten Teil ihrer Einsatzkräfte zurückgezogen, nur noch wenige Fahrzeuge stehen vor der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule. Am Mittwochabend hatte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sein Amtshilfeersuchen zur Räumung der Schule zurückgezogen, nachdem mit den Flüchtlingen in der Schule eine Vereinbarung ausgehandelt worden war. Der Polizeieinsatz rund um die Schule, der laut Angaben der Polizei mindestens fünf Millionen Euro gekostet hat, ist damit beendet, eine Räumung der Schule vorerst vom Tisch.

Viele Probleme jedoch bleiben ungelöst: Nur ein Teil der Flüchtlinge an der Schule hat die Vereinbarung unterschrieben - gelten soll sie nun aber für alle Flüchtlinge, die sich in den letzten Tagen in der Schule befanden. Wie viele der rund 30 Flüchtlinge unterschrieben haben, bleibt am Mittwoch weiter unklar. Vor der Schule erzählt eine Unterstützerin, nur eine kleine Minderheit habe die Unterschrift verweigert, eine andere sagt hingegen, der Großteil der Besetzer sei gegen die Vereinbarung gewesen und habe bisher nicht unterschrieben.

Die Vereinbarung, die im Laufe des Mittwochnachmittags zwischen den Grünen-Politikern Canan Bayram, Hans-Christian Ströbele und Bezirksstadtrat Hans Panhoff auf der einen Seite sowie den Anwälten der Flüchtlinge, Berenice Böhlo und Ralph Monneck, auf der anderen Seite ausgehandelt wurde, umfasst die zehn von den Flüchtlingen aufgestellten Forderungen bezüglich der Schule. So sollen die Flüchtlinge weiterhin in der Schule wohnen können, wenn auch nur in bestimmten Bereichen, und finanzielle Zuwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Auch sollen sie an der Auswahl der Projekte, die nach dem Umbau in die Schule ziehen, beteiligt sein.

Im Detail sieht die Vereinbarung vor, dass die Flüchtlinge Hausausweise bekommen, mit denen sie die Schule betreten dürfen. Am Eingang soll es Kontrollen durch einen Sicherheitsdienst geben, dieser kann aber »soweit notwendig zur Vermeidung des Zuzuges Dritter von Polizeibeamten unterstützt werden«, heißt es in dem Text.

Am Donnerstag bekundeten verschiedene Organisationen wie etwa Pro Asyl, die GEW Berlin oder die Jusos Erleichterung über die Einigung - gleichzeitig wurde vor zu viel Optimismus gewarnt: »Der jetzt ausgehandelte Kompromiss ist kein Grund zum Jubeln«, sagte Fabio Reinhardt, flüchtlingspolitischer Sprecher der Berliner Piratenfraktion. Denn das Hauptanliegen der Flüchtlinge, die Forderung nach Bleiberecht, wird von dem Abkommen nicht berührt. »Innensenator Henkel kann und muss jetzt Menschlichkeit walten lassen und den Geflüchteten ein dauerhaftes Bleiberecht gewähren«, sagte dazu Reinhardt.

Der CDU-Innensenator Henkel äußerte sich dazu allerdings deutlich: »Für mich bleibt es bei der klaren Linie, dass es aufenthaltsrechtlich keinen Spielraum für eine Vorzugsbehandlung geben kann und geben wird«, sagte er am Donnerstag und kritisierte gleichzeitig den Bezirk dafür, überhaupt eine Vereinbarung getroffen zu haben: »Ich persönlich halte es für falsch, Besetzer für ihr Verhalten zu belohnen«, so Henkel.

Die Linkspartei in Friedrichshain-Kreuzberg brachte am Donnerstag einen Abwahlantrag gegen Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne), der das Räumungsersuchen unterzeichnet hatte, in die Bezirksverordnetenversammlung ein, dieser soll vermutlich am Freitag diskutiert werden. In den vergangenen Tagen hatten auch Grünen-Mitglieder auf internen Mailinglisten die sofortige Absetzung Panhoffs gefordert, der als Baustadtrat für den Umgang mit der bezirkseigenen Gerhart-Hauptmann-Schule verantwortlich ist.

Neben der Tatsache, dass die Flüchtlinge in Sachen Bleiberecht bisher keinerlei Zusicherung erhalten haben, bleibt ein weiteres Problem auch am Donnerstag akut: Die Schulbewohner, die sich zum Zeitpunkt der Räumung nicht in der Schule befanden, sind weiterhin von Obdachlosigkeit betroffen. Immer noch würden sich im Stundentakt Leute bei ihnen melden, die dringend einen Schlafplatz suchen, heißt es am Infostand. Zwar gebe es auch viele hilfsbereite Menschen, die die Flüchtlinge privat bei sich unterbringen würden - eine langfristige Lösung aber gibt es weiter nicht. »Hier wurde ein politisches Problem von Bezirk und Senat einfach auf private Unterstützernetzwerke abgeladen«, sagt der Student, der gerade Schicht am Infostand hat. »Wir wissen nicht, was wir den Leuten sagen sollen, wenn sie fragen, wo sie nächste Woche hingehen sollen - in die Schule dürfen sie nicht mehr, einen anderen Platz haben sie aber auch nicht bekommen.«

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