Ein Malocher nimmt Abschied

Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider scheidet aus dem Amt

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 4 Min.
Seine Sprache ist einfach und direkt. Denn er will eben auch von den Menschen auf der Straße, auf der Arbeit oder eben denen, die von Hartz IV leben müssen, verstanden werden. Schneider erhielt nicht umsonst 1998 für seinen Einsatz für Arbeitnehmer und Arbeitslose die Hans-Böckler-Medaille des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Nein, er fuhr nie angetrunken bei Rot über die Ampel oder baute sich einen protzigen Bischofssitz. Nikolaus Schneider war ein im Grunde tadelloser Kirchenführer. Seine Amtszeit kam ohne öffentliche Skandale aus. Insofern hat er in den letzten Jahren auch zu einer gewissen Beruhigung und medialen Stabilität der Kirche beigetragen.

Nikolaus Schneider wird zum 10. November 2014 vom Amt des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zurücktreten und aus dem Rat der EKD ausscheiden. Eine kurze Amtszeit. Schneider wurde erst im Februar 2010 zum obersten Repräsentanten der 23,4 Millionen evangelischen Christen in Deutschland gewählt. Das war von der Kirche ursprünglich anders beabsichtigt gewesen. Über Jahre wurde nach dem erwartbaren Rückzug von Wolfgang Huber eben jene Margot Käßmann als die neue leuchtende Ikone des Protestantismus in Deutschland aufgebaut, die dann so sehr enttäuschte. Der Bestseller-Autorin, die bis heute vor allem die Herzen mittelalter Frauen höher schlagen lässt, kam dummerweise diese nächtliche Autofahrt dazwischen. Vordergründig führte dies zum überstürzten Rückzug aus dem Amt. Hintergründig trug dazu vielleicht auch ihre »Nichts ist gut in Afghanistan«-Kritik bei, wurde sie doch nicht nur von der Politik dafür heftig angezählt. Die Republik war damals noch nicht so weit, sich offen und ehrlich mit dem deutschen Krieg am Hindukusch auseinanderzusetzen, ja ihn überhaupt als solchen zu benennen.

Heute führt Margot Käßmann als so genannte »Luther-Botschafterin« nur noch ein Schattendasein in der EKD. Schneider also sprang vor vier Jahren als Verlegenheitskandidat ein, und man kann sagen, er hat es seitdem gut gemacht. Er ist nicht der vermeintlich intellektuelle Überflieger wie sein Amtsvorgänger Professor Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber, der sich bis heute besonders im akademischen Elitendiskurs zu Hause fühlt. Nein, Nikolaus Schneider ist mehr so der Kumpeltyp, stammt der jetzt 66-Jährige doch aus einem Malocher-Haushalt im Ruhrgebiet. Sein Vater war Hochofenmeister. Schneider studierte Theologie und Volkswirtschaft in Göttingen, Wuppertal und Münster, wo er auch das Vikariat absolvierte.

Seine Sprache ist einfach und direkt. Denn er will eben auch von den Menschen auf der Straße, auf der Arbeit oder eben denen, die von Hartz IV leben müssen, verstanden werden. Schneider erhielt nicht umsonst 1998 für seinen Einsatz für Arbeitnehmer und Arbeitslose die Hans-Böckler-Medaille des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Auch der Dialog der Religionen stellt einen der Schwerpunkte seines theologischen und kirchlichen Arbeitens dar. 2012 wurde Schneider mit der Buber-Rosenzweig-Medaille, 2013 mit dem Leo-Baeck-Preis ausgezeichnet. Der Ratsvorsitzende geht auf fragende Christen, Andersgläubige, wie eben auch auf kritische Journalisten zu, ohne sie abkanzeln zu wollen. Wenn er von Mediendemokratie spricht, dann lebt er sie auch. Und Schneider fremdelt nicht mit dem Osten. Die Ideen des religiösen Sozialismus seien genau so wie andere Strömungen in die evangelische Kirche eingegangen, die an gesellschaftlichen Veränderungen interessiert sind, sagte er mal in dieser Zeitung. Zu nennen sind etwa die Anti-AKW-Bewegung, die Umweltbewegung oder das Engagement starker Gruppen, die an Menschenrechtsfragen und Fragen der soziale Gerechtigkeit arbeiten, in unserem Land wie in der ganzen Welt. Und er traut sich auch zu sagen, dass die Entchristianisierung zwischen Elbe und Oder keinen Endzustand darstellt. Man möge wie das Volk Israel in der Wüste bei seiner Wanderung nur 40 Jahre warten, dann könnten sich auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR die Kirchen wieder füllen, gab er sich im »nd« zuversichtlich. Was für ein Glaube!

Nun also zieht Nikolaus Schneider sich zurück. Es sind keine theologischen, sondern private Gründe. »Die Begleitung meiner an Krebs erkrankten Frau macht diesen Schritt unerlässlich. Unserem gemeinsamen Weg will ich alle Zeit widmen«, ließ er offiziell verlautbaren. Anne und Nikolaus Schneider sind seit 1970 verheiratet. Vor dieser Krankheit musste seine Familie schon einmal hilflos die Waffen strecken. Die jüngste Tochter Meike starb 2005 mit nur 22 Jahren an Leukämie. Die Schneiders haben das nie verschwiegen, sondern sind offensiv damit in die Öffentlichkeit gegangen. Über das Leiden und den Tod ihrer Tochter schrieben sie ein Buch. Dort finden sich berührende Passagen: »Damals war meine Vorstellung, dass die Lebensordnung eine andere ist. Dass erst die Eltern sterben und die Kinder ihre Eltern begraben und nicht umgekehrt. Der Stachel bleibt. Das ist etwas, womit ich mich nicht versöhnen kann. Womit ich zwar leben kann und was auch für mein Leben wichtig ist, für uns beide wichtig ist. Aber dass ich dazu Ja sagen kann - nein, das kann ich nicht.«

Bei aller Bitternis erwies sich Nikolaus Schneider hier als authentischer und glaubwürdiger Seelsorger eben auch für andere. Nun also zieht er sich ins Private zurück. Nikolaus Schneider selbst will noch bei der nächsten EKD-Synode im November für eine geordnete Amtsübergabe sorgen. Wer sein Nachfolger wird, ist offen. Klar aber ist, dass man gerade auch als kritischer Medienvertreter schon jetzt Nikolaus Schneider als Gegenüber vermissen wird.

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