Die Ost-West-Brücke

Eindrücke vom 49. Internationalen Filmfestival Karlový Vary

  • Hans-Joachim Schlegel
  • Lesedauer: 3 Min.
Dieses Festival ist eine der selten gewordenen Brücken ost-westlicher Filmbegegnungen, die aufgrund niedriger Eintrittspreise zudem ein Magnet für engagiert filmbegeisterte Jugendliche ist.

Auf dem Roten Teppich des am Samstag zu Ende gegangenen 49. Internationalen Filmfestivals von Karlový Vary (Karlsbad) sah man neben US-Stars, wie die für ihr Lebenswerk geehrten Mel Gibson und William Friedkin, auch den polnischen Regie-Altmeister Andrzej Wajda zusammen mit dem Solidarnosc-Aktivisten und Ex-Präsidenten Lech Walesa. Über den hat Wajda den leider etwas hagiographisch geratenen Film »Walesa - der Mann der Hoffnung« gedreht. Dieses Festival ist eine der selten gewordenen Brücken ost-westlicher Filmbegegnungen, die aufgrund niedriger Eintrittspreise zudem ein Magnet für engagiert filmbegeisterte Jugendliche ist.

Es ist gut, dass außer den Wettbewerbsfilmen hier auch die Höhepunkte von Cannes, Venedig und Berlin zu sehen sind und ein »Ost von West«-Wettbewerb Aufmerksamkeit für Ost- und Mitteleuropas Filmkulturen schafft. Die von dem Spanier Luis Minarro geleitete Jury des Hauptwettbewerbs hatte den Mut, ungewöhnliche Filme auszuzeichnen: Der Grand Prix ging an den in Koproduktion mit Frankreich, Deutschland und Kasachstan produzierten georgischen Film »Kornfeld«.

Giorgi Ovaschwili erzählt darin die minimalistische Geschichte eines alten Bauern, der zusammen mit seiner pubertierenden Enkelin auf einer kleinen Schwemmlandinsel im Inguri-Grenzfluss zwischen Abchasien und Georgien ein Maisfeld anbaut. Er gewährt einem verwundeten Flüchtling Zuflucht und liefert ihn nicht den argwöhnischen Grenzpatrouillen aus. Gesprochen wird in diesem Film fast überhaupt nicht. Blicke und Gesten erzählen vom Leben in Einklang mit der Natur inmitten einer bedrohten Grenzregion.

Den Spezialpreis der Jury und die Auszeichnung für den besten Regisseur erhielt der für seinen begabten Eigensinn bekannte Ungar György Pálfi. Er verfremdet das Alltagsleben von sieben Familien in einem Budapester Plattenbau in surreal-grotesker Weise, die als Metapher einer sich hoffnungslos im »Freien Fall« (so der Filmtitel) befindlichen Gesellschaft begriffen werden kann. Mit absurdem Humor schildert auch der Tscheche Miroslav Krobot in seinem beachtlichen Debüt »Nirgendwo in Mähren«, wie die Bewohner eines mährischen Dorfes mit über sechzig Prozent Arbeitslosen die Tristesse ihres Alltags zu überleben versuchen.

Nach spirituellen Tendenzen dreht Andrej Zvjagincev, einer der begabtesten russischen Gegenwartsregisseure, jetzt kritisch-realistische Filme. Sein bereits in Cannes für das beste Drehbuch ausgezeichnete »Leviathan« verweist in seinem Titel auf das Hauptwerk des englischen Philosophen Thomas Hobbes über die Allmacht des Staates und zeigt anhand einer auf der nördlichen Halbinsel Kola spielenden Geschichte, wie aussichtslos in Russland der Kampf um Recht und den eigenen Besitz gegen die zynische und korrupte Macht der Vertreter von Staat, Justiz und Kirche ist.

Erstaunlich, dass dieser Film mit Unterstützung des staatlichen russischen Filmfonds gedreht werden konnte. Ob er jetzt allerdings in russischen Kinos gezeigt werden kann, ist aber inzwischen fraglich: Seit Juni ist in Russland ein Gesetz gegen »Vulgarismen« in Kraft - und in diesem Film verhalten sich die Machthaber nicht nur zynisch und brutal, sondern fluchen auch hemmungslos.

Im Dokumentarfilmwettbewerb hatte der deutsch-türkische Film »Istanbul United« von Olli Waldhauer und Farid Eslam seine internationale Premiere: Zunächst geht es hier um das Fieber der Fans dreier großer Istanbuler Fußballclubs. Doch dann kommen die Emotionen um die Demonstrationen auf dem Taksim-Platz hinzu, und der Ruf »Taksim ist überall - Widerstand ist überall« ertönt nunmehr auch in den Fußballstadien.

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