Der Clou von Döllschütz

Ein Thüringer Dorf erzeugt nicht nur eigenen Strom, sondern betreibt auch ein eigenes Nahwärmenetz

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Saale-Holzland-Kreis und die Stadt Jena sind führend in Thüringens Bioenergieregion. Mittlerweile machten sich hier die ersten Dörfer selbst bei der Wärmeversorgung energetisch autark.

Als sich die Landwirte der Agrarprodukt Hainspitz eG in Döllschütz bei Eisenberg 2011 eine Biogasanlage neben ihren Milchviehstall setzten, wollten sie vor allem den »Betrieb rund machen«, erzählt Vorstandschef Sören Lumm. Der Thüringer Agrarbetrieb sollte durch die neue Sparte unabhängiger von latent schwankenden Milch- und Getreidepreisen werden. Die Rechnung ging auf. Heute steuere die staatlich subventionierte Energiestrecke rund ein Drittel zum Umsatz bei - ebenso wie die Milchkuhherde und der Anbau von Feldfrüchten, freut sich der 32-jährige.

Dennoch waren die Döllschützer nicht rundum zufrieden mit dem Effekt der Investition: Die Wärme, die das angeschlossene Blockheizkraftwerk (BHKW) neben der elektrischen Leistung erzeugt, blieb ungenutzt. Es gab es keine industriellen Abnehmer dafür. Auf der Suche nach einem Ausweg luden die Landwirte schließlich im März 2013 alle Döllschützer zu einer Bürgerversammlung ein. Und von dem großen Interesse, das ihre Pläne hier erzeugten, zeigte sich selbst Lumm überrascht. So gründete der Agrarbetrieb alsbald mit zwei Einwohnern - Dachdeckermeister Michael Rudolph und Solarexperte Ralf Menz - eine eigenständige Betreiber-GmbH für das künftige Nahwärmenetz im Dorf.

Anfangs war das Modell einer Bürgergenossenschaft favorisiert worden, doch dieses erwies sich als eher ungeeignet: Ihre Gründung dauere länger, die Entscheidungsprozesse wären oft zäher - und ein benötigter Bankkredit wäre für eine GmbH schneller zu erlangen, erläutert Menz, der seither diese Abtei Energie GmbH in Döllschütz führt. Immerhin drängte die Zeit, da es EU-Fördergelder zur Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) für den Bau von Wärmenetzen nur noch bis Ende 2013 gab.

So aber konnte man bald Beachtliches vorweisen: Binnen vier Wochen waren 700 Meter Leitungen verlegt und alle Wohn- und Gewerbehöfe in Döllschütz an das neue grüne Wärmenetz angedockt. Dann ging es nahtlos im benachbarten Pretschwitz weiter. Rund 2100 Meter Leitungen verlaufen seit Herbst nun auch dort zu den 20 Wohngebäuden.

Um jedoch die Abwärme nicht über eine längere Distanz ins Nachbardorf leiten zu müssen, errichtete man in Pretschwitz ein weiteres Kleinkraftwerk - ein so genanntes Satelliten-BHKW. Es ist lediglich über eine Gasleitung an den Fermenter am Milchstall gekoppelt. Der Clou, quasi »das Pionierhafte«, wie Menz es nennt: Durch die vorherige Optimierung der Döllschützer Biogasanlage befeuert diese nun sogar beide Blockheizkraftwerke. Ohne jegliche Erweiterung erzeugt sie also auch das Gas mit, das das zusätzliche BHKW verbrennt.

Eher ungewöhnlich ist auch, dass Speichermodule anstelle der sonst üblichen Hausübergabestationen die einzelnen Höfe an das Nahwärmenetz anbinden. Jedes dieser Depots fasst 1000 Liter Biogas, mit dem sich vor allem im Winter die morgendlichen Lastspitzen abfedern lassen - dann, wenn halt das ganze Dorf zur selben Zeit den Heizregler aufdreht.

Da das zweite BHKW natürlich auch Strom erzeugt, ziehen die drei Gesellschafter der Abtei GmbH daraus noch einen weiteren Nutzen: Sie können dank dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) auch ordentlich etwas in das öffentliche Netz einspeisen. »Das ist unsere Refinanzierung«, schmunzelt Menz. Zuvor habe man natürlich alles sauber durchkalkuliert, versichert er. Immerhin ist die biogene Wärme, die die Ostthüringer Haushalte nun beziehen, mit fünf Cent je Kilowatt nur gut halb so teuer wie derzeit Heizöl.

Dieses Projekt in den beiden Ortsteilen der Gemeinde Rauschwitz ist zugleich eines der zugkräftigsten innerhalb der Thüringer Bioenergieregion Jena-Saale-Holzland. Bereits 2009 gegründet, erstreckt sich diese nun auch über den benachbarten Landkreis Saalfeld-Rudolstadt sowie Teile des Landkreises Greiz. Koordiniert wird alles durch die Regionale Aktionsgruppe Saale-Holzland, einem Dach, unter dem Akteure aus Kommunalpolitik, Wirtschaft, Sozialbereichen, Kirchen und Tourismus ihr Tun vernetzen.

Acht Schwerpunktbereiche beackert das Koordinatorenteam. Ganz vorn rangiert die Entwicklung von Wärmekonzepten für Bioenergieanlagen. Rein quantitativ kann man auch einiges vorweisen. So wuchs die Zahl der Biogasanlagen im Projektgebiet seit 2009 von zehn auf 17. »Doch die wenigsten wurden auf die maximale Energieeffizienz ausgelegt und nutzen damit auch die gesamte thermische Leistung«, sagt Regionalmanagerin Ina John. Vorrangig basiere ihre Struktur »auf der Einspeisung des Stromes nach den Vergütungssätzen des EEG«. Lediglich punktuell nutze man die Wärme auch zum Heizen von Arbeitsräumen oder zur Warmwasserbereitung im eigenen Betrieb. Eine weitere große Ausnahme bilde indes das Bioenergiedorf Schlöben: Auch hier schufen sich die Einwohner ein eigenes Nahwärmenetz auf Basis selbst erzeugter grüner Wärme.

Mit Blick auf das Jahr 2020 verfolgt Ina John weitere ehrgeizige Ziele: Der Anteil der Biomasse am Strommix in der Bioenergieregion soll dann 25 Prozent ausmachen, bei der Wärmenutzung sogar 35 Prozent.

Doch dass auch dann nicht nur eitel Sonnenschein herrscht, zeigt eine aktuelle Tendenz, auf sie kritisch verweist: Die drei größeren Holzheizkraftwerke der Region, die mit Hackschnitzeln aus Waldrestholz gefüttert werden, haben solch einen Hunger, dass sie noch »enorme Importmengen« an Holz benötigten. Zugleich aber würden leider »bislang gut nutzbare Ersatzrohstoffe wie Baum- und Strauchschnitt aus regionalen privaten Gärten und Landschaftspflege vernichtet, indem sie entweder an Ort und Stelle verbrannt oder gemulcht« würden, rügt sie. Denn es mangele an einem tragfähigen Logistikkonzept hierfür.

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