Spannende Symbiose in Ingolstädter Roter Meile

Stadtrat lässt sich Zeit bei der Umbenennung einer Straße, die dem Wehrwirtschaftsführer Richard Bruhn gewidmet ist

  • Hans Canjé
  • Lesedauer: 3 Min.
Straßennamen sind immer wieder ein sensibles Thema. In Ingolstadt soll eine Straße nach Jahrzehnten umbenannt werden. Doch das Unternehmen stockt. Es besteht noch »Klärungsbedarf«.

Auf der Tagesordnung des Ältestenrates in Ingolstadt stand bereits für den 17. Juli das Thema »Straßenumbenennung«. Es geht um eine Straße im Industrieviertel der oberbayrischen Stadt, die unter Eingeweihten eher als »Rote Meile« bekannt ist, als Straßenstrich, denn nach ihrem Namensgeber bekannt. Der anrüchige Ruf dieser Straße ist es aber nicht, der die Stadtoberen zum Nachdenken bewog. Scheinbar aus heiterem Himmel war über die Stadt die Kunde hereingebrochen, dass der Namensgeber, der »langjährige und bisher hochverehrte Auto-Union-Vorstandschef« Richard Bruhn, ein übler Sklavenhalter war, verantwortlich für den Einsatz von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern in Fabriken der Audi-Vorgängerfirma, der Auto Union in Chemnitz, bei dem 4500 Menschen starben.

Der ehemalige Betriebsleiter Bruhn »komme aufgrund seiner tiefen Verstrickungen in den Nationalsozialismus« nicht in Frage, sagt die Stadträtin Ulrike Hodek. »Insbesondere die Ausbeutung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern für die Auto Union verbietet jegliche Ehrung.« Das alles war über die Jahrzehnte erfolgreich verdrängt worden und wäre sicher weiterhin kein Thema in der Autostadt gewesen, wäre da nicht diese Studie (rund 70 Jahre nach der Befreiung!) erschienen: »Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz bei der Auto Union AG Chemnitz im Zweiten Weltkrieg«.

Die illustriert auf nachdrückliche Weise die schwülstige Selbstdarstellung, die der Konzern im protzigen »Audi Forum« und dem dort eingerichteten »museum mobile« betreibt: »Im Audi Museum gehen historische Exponate und zeitgemäße Präsentation eine spannende Symbiose ein.« Die für Juli angesetzten Beratungen zum Thema wurden jedoch, wie »nd« auf Nachfrage beim städtischen Presseamt erfuhr, von der Tagesordnung abgesetzt. Weil: Es bestehe »weiterer Klärungsbedarf«. Nach der Sommerpause, Mitte oder Ende September, soll dann wohl weiter beraten werden.

Vielleicht wollen sich die Abgeordneten in dieser Zeit durch die Lektüre der Studie ein eigenes Bild von dieser »spannenden Symbiose« machen. Bruhn wird dort als der wichtigste Verantwortliche für den Einsatz der KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter bezeichnet. Alle wichtigen Entscheidungen seien ab 1942 fast ausschließlich über ihn gelaufen. Er habe »engste Beziehungen« zur NSDAP gehalten, deren Mitglied er seit 1933 war. Der »Wehrwirtschaftsführer«, einer der führenden Rüstungsmanager, sei monatelang »häufiger bei Albert Speer und Adolf Hitler in Berlin als in seinem Chemnitzer Büro« gewesen.

Die Nähe hatte sich ausgezahlt: In inniger Verbundenheit richtete die SS für Auto Union sieben Konzentrationsaußenlager ein. Mehr als 3700 KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter und zudem 16 500 Zwangsarbeiter, die nicht in Konzentrationslagern interniert waren, mussten für Auto Union Sklavenarbeit leisten. Im Lager Leitmeritz, einem Außenlager des KZ Flossenbürg, wurden 18 000 KZ-Häftlinge zum Bau einer Untertagefabrik für Auto Union eingesetzt. 4500 fanden dabei den Tod. Die Autoren: Die »moralische Verantwortung« des Auto-Union-Managements »für die Zustände in Leitmeritz« stehe außer Frage. Ihr Resümee: »Auf dem Weg in die Riege der schwerstbelasteten Rüstungskonzerne wie Flick oder IG Farben kam das Kriegsende dem Auto-Union-Konzern zuvor.« Nur das nahe Kriegsende habe einen noch umfänglicheren KZ-Häftlings-Einsatz verhindert.

Nach Kriegsende setzte sich Bruhn in weiser Voraussicht in den Westen ab. Bei der sogenannten Entnazifizierung war er als »unbelastet« eingestuft worden. In Ingolstadt fand er seine neue Wirkungsstätte. Für seine »Verdienste« um die Autoindustrie erhielt er 1953 das Große Verdienstkreuz. Da hatte ihn die Technische Hochschule schon mit der Ehrendoktorwürde dekoriert.

Der Ingolstädter Stadtrat Jürgen Siebicke ist im übrigen der Meinung: »Die Stadt wird hier noch einige Namensgeber und Ehrentitel überprüfen müssen.«

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