»Mos Maiorum« - EU macht Jagd auf Migranten ohne Papiere
Kritik an europaweiter Polizeioperation zur Aufspürung von Flüchtlingen
Gemeinsame Polizeioperationen wie »Mos Maiorum« sind mittlerweile zur Regel in der Union geworden, nur Griechenland hatte während seinem EU-Vorsitz darauf verzichtet. Auch Ausweiskontrollen sind keine Ausnahme. Denn im Rahmen ihrer grenz- und bahnpolizeilichen Aufgaben ist etwa die Bundespolizei täglich an Bahnhöfen, Flughäfen und bekannten Fernstraßen auf der Pirsch nach Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Allerdings werden im Rahmen von »Mos Maiorum« die Maßnahmen aller Dienststellen »anlassbezogen verstärkt«. Dass sie zwei Wochen dauern, ist ein Novum. Bis jetzt waren sie auf einige Tage beschränkt. Dabei geht die Polizei nach Merkmalen wie Alter, Geschlecht und »auffällige Verhaltensweisen« vor. Hierzu gehören zum Beispiel die Kleidung oder das mitgeführte Gepäck, wie die Bundespolizei erklärt. Flüchtlingsorganisationen und Betroffene kritisieren dieses Vorgehen als rassistisch und stigmatisierend, denn gewöhnlich wird auch nach Hautfarbe ausgewählt.
Der offizielle Zweck der »Gemeinsamen Polizeioperationen« ist das Aufspüren von »Schleusern«. So werden Fluchthelfer im Amtsdeutsch genannt. Auch bei der Bundespolizei heißt es, die Betroffenen würden befragt, um »Schleusungshintergründe« festzustellen. Erkannte Täter würden dann »der Strafverfolgung zugeführt«. Die dabei aufgegriffenen Personen ohne Papiere gelten in Verlautbarungen der Polizei häufig als »Opfer« der »Schleuser«. Je nach Art des Verstoßes gegen das Aufenthaltsrecht werden sie verwarnt, in Aufnahmelager verfrachtet oder in Abschiebehaft genommen. Die italienische Vorbereitungsgruppe der Operation erhält von Polizeibehörden aus 25 Staaten Daten zu Alter und Staatsangehörigkeit der Angetroffenen, ihrer Reiseroute oder der Echtheit mitgeführter Dokumente. Bei früheren EU-Operationen wurden rund 10 000 Menschen ohne gültige Papiere auffällig.
Italien reicht die Informationen an die EU-Grenzagentur Frontex weiter, die für die Kontrolle und Abwehr irregulärer Migration zuständig ist. Die Statistiken von »Mos Maiorum« werden in Risikoanalysen verarbeitet, mit denen die Organisation Migrationsströme darstellt und Prognosen über zukünftige Routen entwirft. Auf dieser Basis planen die Polizeien der Mitgliedstaaten weitere Maßnahmen, um die Zahl von bis zu 450 000 geschätzten Menschen ohne Aufenthaltsstatus in der EU zu reduzieren. Die an Frontex übermittelten Informationen sind anonymisiert, die Agentur darf keine Personendaten speichern.
Ungewöhnlich ist auch das Ausmaß der internationalen Aufmerksamkeit für die Kontrollaktion. Neben vielen Medienberichten werden europaweit Kundgebungen organisiert, offene Briefe lanciert und Solidaritätswebseiten eingerichtet. Das mag daran liegen, dass ein an alle EU-Mitgliedstaaten versandtes Papier der italienischen Vorbereitungsgruppe vor Monaten geleakt worden war. Auch der Name »Mos Maiorum« gibt berechtigten Anlass zur Kritik: Übersetzt heißt die Operation »Die Sitten der Ahnen«, die Formel stand im alten Rom für Folgsamkeit gegenüber Staat und Religion.
Italien sieht sich aber auch mit anderen Maßnahmen zur Steuerung von »Migrationsströmen« im Fokus. Einige EU-Staaten kritisieren die Regierung in Rom, weil sie über das Mittelmeer eingereisten Geflüchteten nicht wie vorgeschrieben Fingerabdrücke abnimmt. Viele reisen ungehindert in andere Länder weiter, Italien verletzt damit das EU-weit gültige Dublin-Abkommen. Deutschland und Frankreich hatten dafür gesorgt, dass in solchen Fällen wieder für bis zu zwei Jahre Kontrollen an den Binnengrenzen eingeführt werden dürfen. Populistisch drohte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer deshalb kürzlich an, die Grenzposten zu Österreich wieder zu reaktivieren.
»Mos Maiorum« soll nun Belege liefern, wie viele Personen tatsächlich über Italien in die EU eingereist sind und für welche weitere Reiseroute sie sich entschieden haben. Im November startet Frontex die Operation »Triton« vor der italienischen Küste, um sicherzustellen, dass alle über das Mittelmeer eingereisten Migranten ihre Fingerabdrücke abgeben. Notfalls soll das sogar noch auf See passieren.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.