Kipping: »Niemand müsste arm sein«

Jeder Sechste armutsgefährdet / Volksolidarität fordert nationalen Armutsgipfel / Über 35 Prozent der Alleinerziehenden sind armutsgefährdet

  • Lesedauer: 5 Min.

17.00 Uhr: Neben den Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Armutsgefährung In Deutschland, veröffentlichte das Kinderhilfswerk UNICEF heute ebenfalls Zahlen zur Armut in den Industrieländern. Da solche Zahlen für viele immer abstrakt daherkommen, hier zwei Beispiele aus der EU.

  • Griechenland: Volksschullehrer haben zuletzt einige Fälle von Kindern gemeldet, die Schwächeanfälle erlitten, weil sie nicht das Geld hatten, sich etwas in der Kantine zu kaufen. In vielen Schulen gibt es inzwischen eine leichte Mahlzeit während der Hauptpause. In vielen Regionen wurden auf Initiative der Städte und Kirchen sowie einiger Medien zum Start ins neue Schuljahr Schultaschen, Schreibgeräte und Bücher sowie Kleidung für Kinder gesammelt und verteilt.
  • Irland: Der Initiative End Child Poverty Coalition zufolge fehlt Familien und besonders Alleinerziehenden oft das Geld für Strom- und Gasrechnungen, warme Kleidung und sogar fürs Essen. Schätzungen zufolge lebt etwa jedes vierte Kind in einem Haushalt, in dem mindestens ein Elternteil arbeitslos ist. Fast die Hälfte der zum Teil sehr kinderreichen Familien lebt von Sozialleistungen oder geringen Einkommen.
  • Baltikum: In Lettland beträgt das Kindergeld derzeit 11,38 Euro monatlich pro Kind, in Estland gibt es 19 Euro pro Monat für das erste und zweite Kind. Diese Sätze sollen nach dem Willen der Regierungen im kommenden Jahr angehoben werden - in Estland sogar deutlich (auf 45 Euro). Problematisch ist in allen drei Ländern das unzureichende Angebot an Einrichtungen zur Kinderbetreuung und teils auch von Kinderärzten.
  • Spanien: Die angesehene Stiftung Fundación Rosa Oriol teilte Ende September mit, das Problem der Kinderarmut habe in Spanien seit Ausbruch der Krise im Jahr 2008 zugenommen. Inzwischen wachse jedes vierte Kind in dem Euro-Land in Armut auf.

15.43 Uhr: Die Volkssolidarität fordert einen nationalen Armutsgipfel, der ein konkretes Sofortprogramm gegen Armut erarbeitet, so Präsident der Volkssolidarität Frank-Michael Pietzsch. Es sei nicht hinnehmbar, »dass in einem der reichsten Länder der Welt vor allem Alleinerziehende, Alleinlebende und Arbeitslose in relativer Armut leben«, betonte Pietzschweiter »Insbesondere Frauen sind überdurchschnittlich von Armut betroffen. Es ist offensichtlich, dass die bisherige Politik dem Handlungsbedarf nicht gerecht wird.« Auch im Koalitionsvertrag sei dieses Thema weitgehend ausgespart. Die Volkssolidarität fordere verstärkte Anstrengungen zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit, weitere Verbesserungen für erwerbsgeminderte Menschen. Mehr Gewicht müsse auch die Armutsprävention erhalten, sei es in der Schuldnerberatung, bei den Hilfen für Alleinerziehende und Familien oder bei der Sicherung der sozialen Infrastruktur in den Kommunen. »Diese Fragen gehören auf die Tagesordnung eines Armutsgipfels, der nicht nur eine Angelegenheit der Politik sein kann«, unterstrich Pietzsch abschließend. » Er muss alle wichtigen gesellschaftlichen Akteure einbeziehen, auch die Sozial- und Wohlfahrtsverbände.« Die Volksolidarität sei dazu bereit.

14.06 Uhr: »Die Vermeidung und Bekämpfung von Armut in allen Altersgruppen muss weiterhin ganz nach oben auf die politische Tagesordnung«, erklärte die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher. Die »Armutstendenzen« in Deutschland seien durch eine Vielzahl von Entwicklungen verstärkt worden, darunter Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne und Renten, ungewollte Teilzeitbeschäftigung von Frauen und »nicht bedarfsgerechte Grundsicherungsleistungen«.

13.30 Uhr: Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping hat die heute vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen zum Armutsrisiko in Deutschland als erschreckend bezeichnet: »Trotz der wohlfeilen Worte aus der Regierung ändert sich am generell hohen Risiko, in Armut zu fallen, nichts. Trotz betroffener Mienen in der Regierung ändert sich am höheren Armutsrisiko für Frauen und Alleinerziehende nichts«, so Kipping. Maßnahmen wie der Ausbau des Niedriglohnsektors, der Leiharbeit und die Hartz-IV-Gesetzgebung hätten das Armutssystem verstärkt..

Jeder Sechte in Deutschland armutsgefährdet

Berlin. In der Bundesrepublik sind im Jahr 2013 weiterhin mehr als 16 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet gewesen. Rund 13 Millionen Menschen fielen 2013 unter die Definition, teilte das Statistisches Bundesamt am Dienstag in Wiesbaden mit. Die Quote blieb damit im Vergleich zum Vorjahr konstant. Frauen hatten ein höheres Armutsrisiko als Männer. Überdurchschnittlich gefährdet waren vor allem Arbeitslose, außerdem auch Alleinerziehende und Alleinlebende.

Die sogenannte Armutsgefährdungsquote wird EU-weit nach einheitlichen Kriterien berechnet und misst den Anteil der Bevölkerung, der aufgrund seiner Einkommenssituation mit dem Risiko leben muss, in Armut abzurutschen. Die offizielle Grenze liegt bei 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens der vergleichbaren Gesamtbevölkerung.

Für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren lag der Schwellenwert 2013 nach Angaben des Statistischen Bundesamts bei Einkünften von 2056 Euro im Monat. Für alleinlebende Erwachsene waren es 979 Euro pro Monat.

Besonders hoch war die Armutgefährdungsquoten nach den von der Statistikbehörde der EU erhobenen Zahlen in Deutschland bei Arbeitlsosen über 18 Jahren, von denen 69,3 Prozent oder fast zwei Drittel von einem Abrutschen in die Armut bedroht waren. Auch Alleinerziehende (35,2 Prozent) und Alleinlebende (31,9 Prozent) waren überdurchschnittlich häufig gefährdet.

Frauen wiesen in allen Altersgruppen ein höheres Risiko auf als Männer. Der Wert bei den 18- bis 64-jährigen Frauen lag bei 17,7 Prozent, bei den Männern dieser Altersgruppe waren es 16 Prozent. Bei den über 65-Jährigen war der Abstand deutlich größer: 17 Prozent der älteren Frauen waren armutsgefährdet und zwölf Prozent der Männer.

Kinder zu haben, führte dagegen nicht grundsätzlich zu einem höheren Armutsrisiko, eher im Gegenteil. Die Gefährdungsquoten in Haushalten mit zwei Erwachsenen und einem oder zwei Kindern lagen dem Bundesamt zufolge mit 11,1 Prozent beziehungsweise 8,5 Prozent unter dem Gesamt-Schnitt. AFP/nd

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