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Von Schaffnern und Rockern

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Wieder in Berlin, in der Arbeitnehmerspur, im zuckelnden Früh- und Spätschichtkarussell; in der Hauptstadt der Unfreundlichen, wo sie dir zu oft nur dann respektvoll begegnen, wenn sie dich kennen oder was von dir wollen. Mein Sohn und ich hatten uns für einige Tage nach Dresden verabschiedet, um weit weg vom Schuss zu sein, wenn nicht sogar von den Schüssen und Salven, die uns in Berlin so um die Ohren fliegen.

In Sachsen wirkten die Menschen gelassener. Wir kamen mit dem Bus am Dresdner Hauptbahnhof an, wollten weiter nach Neustadt; suchten und fanden einen Fahrkartenautomaten, eilten zur nächsten Bahn. Kurz bevor die Türen schlossen, stieg der Bilderbuchschaffner ein, mit Schnauzer und Bauch, und schickte sich an, uns zu kontrollieren, worauf ich mich blitzartig erinnerte, dass wir die Karten nicht entwertet hatten. Der Schrecken stand auch ihm ins Gesicht geschrieben, er erinnerte uns an die zweimal 40 Euro, die das kostete, eigentlich. Der Schaffner, der nicht wie ein Rocker aussah, verabschiedete uns in Neustadt, am Schlesischen Platz, wo es beim Bäcker Dynamo-Kekse gab, die fade schmeckten, aber wohl zum Werfen auf andere Anhänger bestimmt waren. »Dresden ist nicht friedlich«, hieß es auf einigen Aufklebern. Wir gingen ins Theater, zu »Tschick«, einem seit zwei Jahren immer ausverkauften Stück. Ich machte mich zum Restkartenhoffnungsklops und siehe da: Ein Lehrer wartete vergeblich auf zwei seiner Schüler, so dass wir zum Strauchdiebtarif neben ihm sitzen durften. Nein, er wolle keinen Euro zu viel entgegennehmen, das sei ungebührlich, zumal für einen Pädagogen.

Die Dresdner sind aber nicht nur nachgiebig und bescheiden, sie können auch nach alter Schule an selbige erinnern; an die Zeit, als der Kremser noch raus fuhr ins Grüne, an die Jahre solch erzieherischer Klassiker wie: »Du bist so ungezogen!« oder: »Das ist kein Spielzeug!« Letzteres hörte mein Zwölfjähriger von einer Aufseherin in der Gemäldegalerie, als er den geborgten elektronischen Museumsführer lustig am Riemen schlenkern ließ. Er schlenderte verstohlen davon, und sie ihm hinterher. »Kein Spielzeug, höre! Ich kenne deinen Vater!« Eine Berliner Museumsaufsicht hätte sich nur gesagt: »Für 8,50 lasse ich mir von dem Kind kein Messer zwischen die Rippen rammen.«

Ist schon interessant, die ständigen Veränderungen der Städte und Menschen. Ein Gründerzeitbau wirkt trotz seiner Schönheitsfehler so spannend wie eine abgewetzte Lederjacke. Wogegen ein maroder Neubau so einladend wirkt wie eine versiffte Couch. Sehr viele Häuser wurden aufgehübscht. Gut so. Auch die Mundart der Sachsen wirkte gemäßigter denn je. Ist jetzt alles geglättet, die Fassaden, die Fressen.

Nach einer Woche waren wir zurück in Berlin, zur Sicherheit mit korrekten Zugtickets, und stiegen in die S-Bahn um, wo die Leute in den Türen standen, um sie zu blockieren. Ich hätte sie anschnauzen müssen, war aber zu gut gelaunt. Das wird sich ändern. Ich, der unkomische Ureinwohner; er oder sie, das aus dem Standschlaf zu reißende Menschenkind.

dasND.de/glaesersglobus

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