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Der treue Schelsky

Wolfgang Hübner über den kreativen Umgang von Unternehmen mit der Tarifeinheit

Erinnert sich noch jemand an Wilhelm Schelsky? Der hatte Anfang dieser Woche Anlass zur Freude, denn das Landgericht Nürnberg-Fürth setzte den noch nicht abgebüßten Teil einer Haftstrafe aus dem Jahre 2008 zur Bewährung aus. Das Verfahren habe ja so lange gedauert, meinten die Richter mitfühlend, und außerdem ist Schelsky inzwischen alt und krank.

Der Mann war in die Schlagzeilen geraten, weil er immense Zuwendungen vom Siemens-Konzern so freihändig verwendet hatte, dass er schließlich wegen schwerer Untreue und Steuerhinterziehung zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Allerdings hatte sich Schelsky, etliche Jahre selbst Siemens-Angestellter, nicht nur einfach so bereichert. Irgendwann hatte er sich als Unternehmensberater selbstständig gemacht, einen fetten Vertrag mit Siemens abgeschlossen und über ausgeklügelte Mechanismen mit Konzernmillionen eine handzahme Pseudo-Gewerkschaft gemästet. Der Verein trägt den putzigen Titel »Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger«. Unabhängig war aber an dieser AUB nichts: Sie wurde gegen die kämpferische IG Metall in Stellung gebracht.

Der Fall Schelsky ist ein schönes Beispiel dafür, wie doppelzüngig Unternehmen mit Beschäftigtenvertretungen umgehen. In diversen Sparten gibt es längst weitere kleine Gewerkschaften, die teils von Konzernen eigens aus dem Boden gestampft wurden, um gemeinsam mit ihnen Tarifverträge zu unterlaufen und auszuhebeln: christliche Gewerkschaften in der Metallindustrie und in Kliniken beispielsweise oder die Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste im Medienbereich. Das mit ihrer Hilfe durchgesetzte Tarifdumping haben Werner Rügemer und Elmar Wiegand in ihrem kürzlich erschienenen Buch »Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung« untersucht.

Diese Unternehmenspraxis steht in krassem Kontrast zum derzeit oft zu hörenden Ruf von Unternehmen nach der Tarifeinheit. Der Arbeitskampf der Lokführer, die allerdings nicht Tarife unterbieten wollen, muss nun als Folie für eine unglaubliche Hasskampagne herhalten. Kommentatoren verweisen gern mal warnend darauf, dass Großbritanniens soziale Frieden seinerzeit von »gierigen Gewerkschaften« zerstört worden sei. Ach ja? Nicht vom brutalen neoliberalen Kurs der konservativen Extremistin Margaret Thatcher?

Wilhelm Schelsky übrigens wurde jetzt vom Vorwurf der Untreue freigesprochen. Das hatten seine Anwälte immer gefordert, denn schließlich sei der politische Zweck der Siemens-Zahlungen an die AUB bekannt und gewollt gewesen. Die Gegenleistungen nannten sich im Jargon »betriebsnahe Lösungen«. So etwas ist von der Lokführergewerkschaft freilich nicht zu erwarten.

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