Der Klimakiller dreht eine Extrarunde

Dresdner Forscher wollen Benzin aus Kohlendioxid herstellen / Kein nennenswerter Effekt gegen Erderwärmung

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Frage, wie Kohlendioxid sinnvoll zu nutzen ist, elektrisiert Forscher. In Dresden soll das Treibhausgas zu Sprit werden. Das Erdklima rettet die Technologie nicht.

Die »Raffinerie« auf dem Gelände der Dresdner Firma Sunfire ist so hoch wie ein Wohnhaus und verrät ihren Zweck nur auf den zweiten Blick. Etiketten auf drei dicken Tanks erklären, was ihre Endprodukte sein sollen: »Naphta«, also Leichtbenzin, dazu »Diesel« und »Wachs«. Der Ausgangsstoff befindet sich derweil in einer schlanken Gasflasche. Es handelt sich um CO2 - Kohlendioxid, ein Gas, das heutzutage stets als »Klimakiller« apostrophiert wird.

Johanna Wanka will an diesem Tag dazu beitragen, den miesen Ruf des Gases zu verbessern. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung weiht die weltweit erste Demonstrationsanlage ein, in der CO2 künftig in Treibstoffe umgewandelt werden soll. Das Gas reagiert dabei mit Wasserstoff, der in dem bei Sunfire entwickelten Verfahren mittels Elektrolyse aus Wasserdampf gewonnen wird. Die erforderliche elektrische Energie kommt aus Wind- und Sonnenstrom. Es entstehen Kohlenwasserstoffverbindungen, wie sie auch bei der Verarbeitung von Erdöl oder Kohle in herkömmlichen Raffinerien anfallen. Sie sind die Grundbausteine der modernen Industriegesellschaft, stellt man doch aus ihnen Benzin, Kunstfasern, Dünger und Kunststoffe her.

Gelänge es nun, Erdöl durch CO2 zu ersetzen, werde der »Abfallstoff« zum »Rohstoff für die chemische Industrie«, lobt Wanka. Die CDU-Politikerin gerät ins Schwärmen: »Das senkt den CO2-Ausstoß und macht uns unabhängig von Erdöl.« Als sie hinzufügt, auch das Klima werde damit geschützt, fühlen sich die Ehrengäste der Sunfire-Veranstaltung ein wenig, als sei ihnen der sprichwörtliche Stein der Weisen präsentiert worden.

Tatsächlich ist die sinnvolle Verwendung von Kohlendioxid ein Thema, das Forscher weltweit elektrisiert. Das Kürzel CCU (Carbon Capture and Utilization, also das Einfangen und Nutzen des im CO2 enthaltenen Kohlenstoffs) verschafft auch Zugang zu öffentlichen Fördertöpfen - Wankas Ministerium hat 2010 ein Programm zur »stofflichen Nutzung von CO2« aufgelegt, das bis 2016 mit 100 Millionen Euro versehen ist und sicher fortgesetzt wird. Beteiligt sind 71 Hochschulen und 86 Partner in der Industrie. Das Projekt von Sunfire in Dresden wurde mit 6,4 Millionen Euro gefördert; weitere vier Millionen Euro kommen von der Wirtschaft.

Der Eifer und die Erwartungen, die in CCU-Projekte fließen, haben mehrere Gründe. Einer lässt sich mit dem Stichwort »Peak Oil« beschreiben. Es ist absehbar, dass die Vorräte an Erdöl zur Neige gehen - eine fatale Entwicklung, wenn man allein bedenkt, wie allgegenwärtig Plastik im Alltag ist. »Langfristig werden wir nicht umhin kommen, über Alternativen nachzudenken«, sagt Jörg Rothermel vom Verband der Chemischen Industrie in Deutschland (VCI). CO2 könnte eine davon sein. Das Gas findet sich schon heute in Limonade, Feuerlöschern, in der Produktion von Aspirintabletten und Kunstdünger. Forscher sehen darin aber einen Quasi-Ersatz für Erdöl.

Die interessante Frage lautet freilich: Woher soll das CO2 kommen? In Dresden ist die Frage bisher von wenig Belang; in der Pilotanlage sollen zunächst nur 160 Liter Benzin am Tag produziert werden. Für eine spätere großtechnische Anwendung aber ist die Frage sehr wohl von Bedeutung.

Die chemische Industrie nutzt bisher Gas, das dort in anderen Prozessen wie der Ammoniaksynthese abfällt. Daneben entsteht Kohlendioxid aber auch in Stahl- und Zementwerken, Biogasanlagen, beim Heizen von Häusern, in Automotoren und Schiffsdieseln - und vor allem in Kohlekraftwerken. Sie sind für 45 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. So verwundert es nicht, dass sich Energiekonzerne stark für CCU interessieren. Bei einem der aktuellen deutschen Vorzeigeprojekte, der Synthese eines Ausgangsstoffes für PUR-Schaum bei der Firma Bayer, wird das CO2 von RWE geliefert. Es stammt aus dem Abgas des Kohlekraftwerks Niederaußem.

Kritiker sehen solche Allianzen mit Skepsis. Sie vermuten, dass die Kohlebranche CCU als »veredelte« Variante der unterirdischen Verpressung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage - CCS) ansieht und damit den Weiterbetrieb der Kraftwerke über einen langen Zeitraum rechtfertigen will - nach dem Motto: Aus dem Abgas werden nützliche Dinge.

Dieses Kalkül geht indes aus zweierlei Gründen nicht auf. Zum einen sind alle bekannten oder in der Entwicklung befindlichen Verfahren zur Abscheidung von CO2 in Kohlekraftwerken horrend ineffizient; sie kosten 15 bis 20 Prozent der Kraftwerksleistung. Mit der Abscheidung von CO2 gingen in den Kraftwerken »alle Effizienzfortschritte der letzten Jahre« verloren, warnt der VCI.

Vor allem aber werden gar nicht so viel Plastik, Kunstfasern und Dünger benötigt, als dass ein nennenswerter Teil der Emissionen zu sinnvollen Produkten verarbeitet werden könnte. Die chemische Industrie benötigt in Deutschland 15 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr; um sie zu ersetzen, reichten 60 bis 70 Millionen Tonnen CO2 - die Produktion von drei bis vier Kraftwerken. Weltweit, so schätzt man, wäre die chemische Industrie mit gerade einmal einem Prozent des anfallenden Kohlendioxids bereits vollständig versorgt.

Auch die von Sunfire in Dresden angestrebte Herstellung von Benzin, Diesel und Heizöl aus Kohlendioxid würde an dem Missverhältnis wenig ändern. In Deutschland werden jährlich 85 Millionen Tonnen Erdöl für Treibstoffe verarbeitet. Um die weltweite Produktion aus Kohlendioxid zu gewinnen, reichten etwa 1800 Millionen Tonnen. Die Emissionen lagen 2013 aber 13-mal so hoch: bei 36 000 Millionen Tonnen. Würde Erdöl vollständig durch CO2 ersetzt, ließen sie sich um ganze elf Prozent senken, davon ein Prozent durch den Bedarf der chemischen Industrie und zehn Prozent durch den für Sprit.

Das ist, könnte man meinen, besser als nichts. Allerdings wird auch Benzin, das aus CO2 gewonnen wird, im Motor verbrannt - wobei erneut CO2 entsteht, das aus zahllosen Auspuffanlagen unwiederbringlich in die Umwelt entweicht. Man drehe also »nur eine weitere Schleife und schickt das Treibhausgas wieder in die Atmosphäre«, sagt Felix Matthes vom Öko-Institut in Freiburg. Andere Forscher heben immerhin hervor, das CO2 erfahre so eine »Zweitnutzung«. Das Klima, räumen sie ein, lasse sich damit aber noch lange nicht retten.

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