Griechenlands Parlament wählt neue Präsidentin

38-jährige linke Abgeordnete Zoe Konstantopoulou gewählt/ Eurogruppe berät am Mittwoch über Hilfen / Gysi: Deutsche Regierung soll »aus der Oberlehrerrolle« rauskommen / Wagenknecht: EZB soll »Erpressungspolitik« gegen SYRIZA-geführte Regierung stoppen

  • Lesedauer: 6 Min.

Update 15.30 Uhr: Der neue griechische Außenminister, Nikos Kotzias, wird am 10. Februar nach Berlin zu einem Treffen mit seinem Kollegen Frank-Walter Steinmeier reisen. Anschließend werde er nach Paris, Kiew und auch Moskau reisen, teilte das griechische Außenministerium am Freitag mit. Kotzias hat in Deutschland studiert. Die neue Regierung unter dem linken Ministerpräsidenten Alexis Tsipras pflegt gute Beziehungen zu Moskau. Tsipras hatte am vergangenen Montag gesagt, sein Land wolle seine guten Beziehungen zu Moskau nutzen, »damit eine notwendige Brücke zwischen Europa und Russland geschlagen wird«. In der Region der umkämpften ukrainischen Stadt Mariupol leben mehrere Zehntausend ukranische Bürger griechischer Abstammung.

Update 13.05 Uhr: Das neue griechische Parlament hat am Freitag mit einer überragenden Mehrheit die 38-jährige linke Abgeordnete Zoe Konstantopoulou zu seiner Präsidentin gewählt. Für die Parlamentarierin der Linkspartei Syriza stimmten 235 Abgeordnete im Parlament mit insgesamt 300 Sitzen, berichtete das staatliche Fernsehen (NERIT). Dies sei ein Rekord. Sie sei zudem die jüngste Parlamentspräsidentin in der Geschichte des griechischen Parlamentes, hieß es im Bericht weiter.

Konstantopoulou erklärte gleich nach ihrer Wahl, sie wolle zusammen mit dem Parlament die Korruption bekämpfen und auch Untersuchungen fördern, die griechische Entschädigungsforderungen an Berlin für Sachwerte und Menschenleben während des Zweiten Weltkrieges betreffen.

Linke und Ökonomen für Abkehr vom Spardiktat

Update 12.15 Uhr: Die Eurogruppe berät am Mittwoch in einer Sondersitzung über Griechenland. Wie der Chef der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, am Freitag über den Kurznachrichtendienst Twitter mitteilte, treffen sich die Finanzminister der 19 Euro-Staaten dann am frühen Abend in Brüssel - einen Tag vor dem EU-Gipfel.

Nach der Wahl der neuen links geführten Koalition in Athen ist unklar, wie es weitergeht, wenn das derzeitige Hilfsprogramm für das krisengeschüttelte Land Ende Februar ausläuft. Die Antrittsbesuche von Ministerpräsident Alexis Tsipras und seinem Finanzminister Giannis Varoufakis der vergangenen Tage in mehreren europäischen Hauptstädten brachten zunächst keine Lösung.

Die Europäische Zentralbank hatte am Mittwochabend entschieden, dass griechische Kreditinstitute keine griechischen Staatsbonds mehr als Sicherheit für Kredite bei der EZB hinterlegen dürfen und sich somit kaum mehr regulär über die Zentralbank mit frischem Geld versorgen können. Damit nahm der EZB-Rat den Banken des Landes eine wichtige Geldquelle. Allerdings wurde am Donnerstag bekannt, dass die EZB zugleich griechischen Banken Notfallkredite in Höhe von bis zu 60 Milliarden Euro genehmigt - und damit zunächst deren Zahlungsfähigkeit sichert.

Deutsche Bevölkerung hält Merkel-Kurs laut Umfrage für richtig

Update 7.20 Uhr: Einer Umfrage für die ARD zufolge sorgt sich eine Mehrheit vor einer erneuten Wirtschafts- und Finanzkrise in der EU - und befürwortet die Linie der Merkel-Regierung gegen die SYRIZA-geführte Regierung in Athen. Im Deutschlandtrend fürchteten 69 Prozent der Befragten, dass es zu einer Wiederholung der Finanz- und Wirtschaftskrise kommen könnte. Im Januar waren es noch 61 Prozent. Wie die Umfrage ergab, sind 58 Prozent der Befragten der Ansicht, dass die EU in Bezug auf Griechenland am ehesten auf Einhaltung der bisherigen Vereinbarungen bestehen sollte. 31 Prozent sehen einen weiteren Zahlungsaufschub für Kredite als beste Lösung an. Ein teilweiser Schuldenerlass stößt mit 9 Prozent nur auf wenig Akzeptanz.

Gysi: Deutsche Regierung soll »aus der Oberlehrerrolle« rauskommen

Berlin. Politiker der Linken aber auch Wirtschaftsexperten haben die Bundesregierung dazu aufgerufen, ihre harte Politik gegenüber der neuen Regierung in Griechenland zu korrigieren. Linksfraktionschef Gregor Gysi sagte, die SYRIZA-geführte Koalition sei »seit wenig mehr als einer Woche im Amt und hat in Europa bereits mehr in Bewegung gebracht, als wir Deutsche es gewohnt sind«. Er forderte einen Kurswechsel bei der Bewältigung der Eurokrise. »Ich hoffe sehr, dass die Bundesregierung Griechenland nicht zusammen mit der Europäischen Zentralbank wieder in den völlig falschen Sparkurs zwingt«, sagte der Politiker »Die Kernfrage lautet doch: Wollen wir den weiteren Abbau Griechenlands oder wollen wir den Aufbau?«

Tausende Griechen protestieren gegen EZB ++ Varoufakis und Schäuble in Berlin: Einig, nicht einig zu sein ++ Tsipras: Werden unsere Wahlversprechen einhalten ++ EZB verschärft Kurs gegenüber Griechenland - genehmigt aber Notfallkredite ++ Der Donnerstag im nd-Newsblog zum Nachlesen

Mit Blick auf die deutsche Diskussion sagte Gysi, die Bundesregierung soll »aus der Oberlehrerrolle, die Deutschland in der EU spielt« herauskommen. »Wir wollen ein europäisches Deutschland, nicht ein deutsches Europa.« Linksfraktionsvize Sahra Wagenknecht sagte, »Europa braucht keine weiteren Kürzungsdiktate, sondern ein öffentliches Investitionsprogramm im Umfang von mindestens 500 Milliarden Euro pro Jahr«. Die Europäische Zentralbank (EZB) solle zudem »endlich die nötigen Mittel für ein solches Aufbauprogramm bereitstellen statt wie geplant eine Billion Euro in die Finanzmärkte zu pumpen und damit wieder nur die Reichsten zu mästen«. Auch forderte Wagenknecht erneut, die EZB solle »ihre Erpressungspolitik« gegenüber der SYRIZA-geführten Regierung beenden. Nicht nur Athen brauche mehr Zeit, »ganz Europa braucht einen New Deal«, so Wagenknecht.

Auch der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Dennis Snower, forderte die Eurogruppe auf, die Sparauflagen für Griechenland zu lockern. »Es müssen realistische Regeln vereinbart werden, die Griechenland eine antizyklische Fiskalpolitik erlauben«, sagte Snower der »Rheinischen Post«. In der jetzigen Situation müsse sich »der Staat stärker verschulden und mit Staatsausgaben die Wirtschaft ankurbeln«, so der Ökonom. »Die massiven Sparprogramme, die derzeit von Griechenland verlangt werden, verschärfen die Probleme des Landes«, erklärte er. Im Gegenzug müsse sich die neue griechische Regierung aber verpflichten, Reformen umzusetzen und in besseren Zeiten Schulden abzubauen. Wenn sich Athen dazu jetzt verpflichte, »muss das Land einen Teil seiner Schulden loswerden. Zum einen durch Privatisierung von Staatseigentum, zum anderen durch einen erneuten Schuldenschnitt«, so Snower.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) äußerte nach einem Treffen mit dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis um Verständnis für Griechenland, blieb aber bei der Haltung der Bundesregierung. Verglichen mit dem, was die Menschen dort ertragen müssten, sei die heftig umstrittene rot-grüne Reform-»Agenda 2010« in Deutschland ein »laues Sommerlüftchen« gewesen. Eines müsse dennoch klar sein: »Die Konsequenzen, insbesondere die finanziellen Konsequenzen einer Neuordnung der griechischen Politik können nicht transferiert werden in andere Länder und dort durch die Steuerzahler bezahlt werden.«

Im Ringen zwischen der SYRIZA-geführten Regierung mit den Europartnern um eine alternative Krisenpolitik steht Athen zunehmend unter Zeitdruck - und muss mit Attacken wie jener der EZB zurechtkommen, die am Mittwochabend eine Sonderregelung kippte, wonach griechische Staatsanleihen bisher als Sicherheit für weitere Kredite der Notenbank genutzt werden konnten. Ab 11. Februar soll dies nun nicht mehr möglich sein. Begründung der EZB: Es sei nicht sicher, dass die Überprüfung von Athens Spar- und Reformprogramm erfolgreich abgeschlossen werden könne. In Schwierigkeiten geratene Banken müssen nun zu höheren Kosten Notfallkredite über die griechische Notenbank in Anspruch nehmen.

Am Donnerstag hatten Tausende in Athen und anderen griechischen Städten gegen den verschärften Kurs der Europäischen Zentralbank protestiert. »Wir lassen uns nicht erpressen, wir haben keine Angst, wir siegen«, skandierten Demonstranten. Teilnehmer warfen EZB-Chef Mario Draghi vor, »das Spiel (von Bundeskanzlerin Angela) Merkel zu spielen«. Agenturen/nd

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