Sicher sozial. Sicher solidarisch

14 Überlegungen zur strategischen Ausrichtung der Arbeit der Linkspartei in Sachsen. Ein Beitrag zur Debatte von Rico Gebhardt und Sebastian Scheel

  • Rico Gebhardt und Sebastian Scheel
  • Lesedauer: 10 Min.

1.

Als linke Partei haben wir den demokratischen Sozialismus zur Orientierung unseres Handelns gewählt. Wir wollen die gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten, wir wollen sie verändern. Die Überwindung der Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen ist unser Ziel und muss in unserem Handeln deutlich werden.

2.

Deshalb war, ist und bleibt DIE LINKE die Partei, die konsequent auf allen Politikfeldern die aus den ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgehenden Missstände analysiert, kritisiert und entsprechende Veränderungsmöglichkeiten erarbeitet. DIE LINKE war, ist und bleibt die Partei der »sozialen Frage«.

3.

Unser konsequenter Einsatz für ein Leben in Menschenwürde für alle Menschen, für die Realisierung der grundgesetzlich garantierten Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Fall ist unser zentrales Unterscheidungsmerkmal. Deshalb setzen wir uns gegen eine »marktkonforme Gestaltung der Demokratie« genauso konsequent ein, wie gegen »Reformen« von sozialen Sicherungssystemen und ökologische Umgestaltung, die auf dem Rücken der sozial Schwächsten durchgeführt werden. Der Protest gegen die Agenda 2010 ist bestimmend für unsere Partei. Wir müssen diesen fortführen, wo wir relevante gesellschaftliche Partner_innen dafür haben, müssen aber darüber hinaus weitere Impulse gesellschaftlichen Widerstandes oder entsprechender Alternativen aufnehmen und unterstützen.

4.

Die Glaubwürdigkeit unseres politischen Handelns, unserer politischen Ideen und Konzepte hängt davon ab, wie es uns gelingt, unsere programmatischen Ansprüche der Gestaltung und der Überwindung der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht als Gegensatz, sondern in ihrem Zusammenhang zu begreifen. Darin findet sich der grundlegende Unterschied einerseits zu sozialdemokratisch geprägten Politikansätzen wie zu linkssektiererischen Positionen andererseits. Diesen Unterschied deutlicher als bisher herauszustellen ist unsere Aufgabe. Dafür werden wir im Rahmen der strategischen Debatte Ideen entwickeln.

5.

Weil wir die Partei der »sozialen Frage« sind, ist für DIE LINKE soziale Politik weit mehr als Sozialpolitik. Wir benennen die Probleme der sozialen Sicherheit, der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Zusammenhalts auf allen Politikfeldern, diese bilden unsere Leitorientierung. Beispielhaft sind zu benennen:

  • unser Einsatz für eine solidarische Mindestrente
  • unser Kampf für einen gesetzlichen Mindestlohn
  • unser Wirken für eine Kindergrundsicherung
  • unsere Idee einer sanktionsfreien Mindestsicherung
  • unser Konzept einer solidarischen Gesundheitsversicherung
  • unsere Arbeit für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor
  • unser Ansatz für eine Mietdeckelung
  • unsere Vorschläge für Bildungsgerechtigkeit
  • unser Steuerkonzept

Prinzipiell sind für uns alle Politikfelder auch aus »sozialer Perspektive« zu bearbeiten. Den neoliberalen Ansatz, Sozialpolitik auf Fürsorge zu reduzieren, lehnen wir ab. Linke Politiker_innen begreifen sich deshalb in ihren jeweiligen Fachgebieten immer auch als Sozialpolitiker_innen.

6.

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte lassen immer stärker erkennen, dass dieses Land zu einer sogenannten »Zwei-Drittel-Gesellschaft« wird bzw. schon ist. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung hat immer weniger Anteil an den gesellschaftlichen Ressourcen. Dies betrifft bei Weitem nicht nur gute Arbeit. Verbunden sind mit damit ebenso der Ausschluss aus demokratischen Beteiligungsprozessen, die Bedrohung durch Armut in all ihren Spielarten, extremer Mangel an Bildungsmöglichkeiten und vieles mehr. Insbesondere der Osten Deutschlands - also die neuen Bundesländer - ist von diesen Problemen betroffen. Im Sozialreport 2014 der Rosa-Luxemburg-Stiftung werden diese Entwicklungen wie folgt zusammengefasst: »Erstens hat sich Ost-West-Differenz in ökonomischer und sozialer Hinsicht vertieft, was auch einschließt, dass die neuen Bundesländer hinter dem Wachstum in den alten Bundesländern zurückgeblieben sind. Zweitens hat sich die Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die am Wachstum teilhaben können und diejenigen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, prekärer Beschäftigung und Niedriglohn nicht (oder nicht im selben Maße) von diesem Aufwind profitieren können, vertieft. Das bedeutet, dass für Betroffene immer mehr Türen in der Gesellschaft verschlossen bleiben. Die Armutsgefährdung in der Bevölkerung ist anhaltend hoch. Drittens sind vielfach vorhandene Benachteiligungen und Ungleichheiten nicht beseitigt worden, in einigen Fällen sind sie sogar gestiegen. So verharrt die Ungleichheit von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt, im Beruf und in der Entlohnung nicht nur auf gleichem Niveau, sondern hat sich in einigen Hinsichten sogar vertieft. Frauen werden künftig noch stärker von Armut und insbesondere von Armut im Alter betroffen sein. Viertens stellen wir eine fortschreitende politische Desillusionierung der Bevölkerung in beiden Teilen – vor allem in den neuen Bundesländern – fest. Den Menschen ist es nach wie vor sehr wichtig, in einem demokratischen Gemeinwesen zu leben und ihre Auffassungen zur Gestaltung der Demokratie schließen eine starke Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger ein. Sie wollen sich auch mehrheitlich politisch einbringen und engagieren. Aber die praktische Politik führt eher zu Entmutigung als zu Ansporn. Immer mehr wenden sich von den Institutionen ab und sind der Ansicht, dass ihre Meinung doch nicht zählt. Dieser Erosionsprozess der politischen Kultur im Land ist durch die politischen Eliten verschuldet und auch durch die Intransparenz und Bürgerferne der staatlichen Institutionen.«

7.

Folgerichtig muss die sächsische LINKE deshalb den Kampf für soziale Sicherheit in all ihren Aspekten in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen. Der Widerstand und Kampf gegen sogenannte »prekäre«, also unsichere Arbeits- und Lebensbedingungen kann selbstverständlich auf der politischen Ebene eines Bundeslandes nicht »gewonnen« werden. Nichtsdestotrotz muss er auf dieser Ebene und auch auf allen Ebenen darunter geführt werden. Deshalb unterstützen wir die Kampagne der Bundespartei gegen prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen »Das muss drin sein!« Aus dieser Kampagne müssen konkrete Anhaltspunkte gewonnen werden, welche Themen wir perspektivisch in den Mittelpunkt unserer Politik stellen.

8.

Der Kampf für soziale Sicherheit betrifft bei weitem nicht nur die sozial Schwächsten in diesem Land. Da es ein wesentliches Merkmal neoliberaler Politik ist, jegliche Sicherheiten anzugreifen und wenn möglich aufzulösen, ist auch die sogenannte Mittelschicht vom sozialen Abstieg bedroht. Beispielsweise konnte in der Vergangenheit noch mit Arbeitsbiographien gerechnet werden, die relativ geschlossen waren und einen wenigstens bescheidenen Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand ermöglichten. Dies ist heutzutage für nur noch sehr wenige der Fall und spitzt sich gerade in Sachsen für erhebliche Teile der Bevölkerung mehr und mehr zu.

9.

In den neuen Bundesländern ist der soziale Druck im landesweiten Vergleich mit Abstand am Höchsten. Altersarmut und Kinderarmut, aber auch Armut trotz Arbeit, Frauenarmut und andere Spielarten von Armut drohen nicht nur, sondern sind bereits der Fall und weiten sich aus. Die politischen Strategien der neoliberalen Parteien, niedrige Löhne und reduzierte Arbeitnehmer_innenrechte als vermeintlich positive Standortfaktoren zu fördern bzw. nicht im Ansatz konsequent zu bekämpfen, bilden eine wesentliche Ursache für diese Situation. Unser Einsatz für soziale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt ist deshalb auch Ausdruck unserer spezifischen »Ost-Kompetenz« - denn »Osten« bedeutet in diesem Land schändlicher Weise auch oft genug »arm«, oft genug »abgehängt«, oft genug »ausgegrenzt«. Das müssen wir ändern.

10.

Wir wissen, dass bei weitem nicht alle Handlungsmöglichkeiten für die Verbesserung der sozialen Lage auf Landesebene liegen. Insbesondere im Bereich der Sozialpolitik ist die Verantwortung auf Bundesebene besonders umfänglich. Dennoch nutzen wir unsere zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für die Artikulation der entsprechenden Probleme und für die Gewinnung von politischen Partner_innen. Die Gewerkschaften stehen dafür an erster Stelle, aber auch soziale Bewegungen, mit denen wir im Rahmen unserer programmatischen Vorstellungen kooperieren sind hierbei genauso zu nennen.

11.

»Soziale Sicherheit« muss weit über den engen Rahmen sozialpolitischen Handelns hinaus begriffen werden. Es geht also dabei um mehr als den sogenannten »Sozialstaat«. Sozialstaatliche Errungenschaften zu erhalten, deren Abbau zu verhindern und diese nach Möglichkeit auszubauen ist deshalb eine notwendige, aber bei weitem nicht hinreichende Aufgabe, die wir LINKE im Kampf um soziale Sicherheit zu erfüllen haben.

Über diesen Rahmen hinaus wollen wir unseren Einsatz für soziale Sicherheit verstärkt auf den klassisch landespolitischen Themenfeldern führen, aber auch wiederholt deutlich machen, dass der Kampf um soziale Sicherheit kein Expert_innenthema ist, sondern Herzensangelegenheit aller LINKEN. Beispielhaft ist zu nennen:

  • der Einsatz für Lebens- und Arbeitsverhältnisse jenseits der Prekarität
  • der Kampf für armutsfeste Renten und die Rentenangleichung, für eine Kindergrundsicherung und eine sanktionsfreie Mindestsicherung
  • unser Einsatz gegen Abkommen wie TTIP oder CETA, die auf grundsätzliche Art und Weise die demokratische und soziale Gestaltung unserer Gesellschaft gefährden
  • gute Bildung darf keine Frage des Geldbeutels sein
  • der Zugang zu Kulturgütern darf nicht Oberschichten und Besserverdienenden vorbehalten sein
  • öffentliche Sicherheit muss für alle Einwohner_innen gewährleistet sein
  • eine bessere, auskömmliche Kommunalfinanzierung muss die sächsischen Städte und Gemeinden als lebenswerte Orte sichern
  • die Sicherung des öffentlichen Eigentums auf allen Ebenen und damit der Widerstand gegen Privatisierungsbestrebungen insbesondere im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge
  • der öffentliche Verkehr muss in allen Regionen des Freistaates und für alle Personengruppen in umfänglicher Weise sicher gestellt sein
  • umfassende Barrierefreiheit nützt allen Menschen
  • Geschlechtergerechtigkeit im Querschnitt aller politischen Themen
  • Kinder- und Jugendarbeit als insbesondere für sozial Ausgegrenzte wichtige Aufgabe
  • eine gute wirtschaftliche Entwicklung in allen Landesteilen sichert die Möglichkeit guter Arbeit
  • betriebliche Mitbestimmungsrechte erhalten und ausbauen
  • demokratische Beteiligung der Einwohnerinnen und Einwohner an der politischen Gestaltung durch Ausbau der Mitgestaltungsmöglichkeiten, wie z.B. Bürgerbegehren oder Volksentscheide
  • die sozial-ökologisch nachhaltige Gestaltung von Wirtschaft und Landwirtschaft sichert die Lebensgrundlagen für alle Menschen
  • die Sicherheit, kein Opfer rassistischer, fremdenfeindlicher oder anderer diskriminierender Gewalttaten, Kränkungen oder Ausgrenzung zu werden, ist Voraussetzung für die gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen Leben

12.

Der Kampf um soziale Sicherheit nützt allen Menschen im Land - denen genauso, die bereits von Armut und Ausgrenzung betroffen sind, wie jenen, denen sie droht oder die sich davon bedroht fühlen. Soziale Sicherheit zu erringen bedeutet Solidarität zu erzeugen. Denn letztlich kann soziale Sicherheit nur bestehen, wenn eine Gesellschaft solidarisch funktioniert. Ausbeutung und Unterdrückung stehen im Gegensatz zu einer solidarischen Gesellschaft. Deshalb kann der Kampf um soziale Sicherheit zwar von einer Partei - von unserer Partei - auf die Tagesordnung gesetzt werden, um ihn zu gewinnen, brauchen wir jedoch einen sehr langen Atem.

13.

Soziale Sicherheit langfristig zu ermöglichen, stellt unter den Bedingungen der stetig und beschleunigt fortschreitenden Entwicklung der Produktivkräfte eine besondere Herausforderung dar. Die umfängliche Digitalisierung und Automatisierung des produktiven Sektors sowie die beständige Ausweitung des Dienstleistungssektors verändern die Arbeits- und Produktionswelt auf grundsätzliche Weise. Die Globalisierung nicht nur der Produktion, sondern auch großer Dienstleistungsbereiche ist eine nicht ignorierbare Tatsache. Die beständige Umwälzung aller gesellschaftlichen Verhältnisse hat »zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen«. Unsere Antworten auf die daraus entstehenden sozialen Verwerfungen müssen mit den immer schnelleren Entwicklungen in der Ökonomie Schritt halten. DIE LINKE muss viel stärker wieder die Partei des Fortschritts sein. Dabei dürfen wir Fortschritt nicht auf die dynamische Entwicklung im produktiven Bereich reduzieren. Unsere Verantwortung besteht vielmehr darin, Fortschritt gesellschaftlich zu verstehen. Ökonomischer Fortschritt ohne sozialen Fortschritt spaltet die Gesellschaft. Es ist deshalb angemessen, über Modelle nachzudenken und entsprechende Konzepte zu entwickeln, die dem gesamtgesellschaftlichen Charakter der Produktion entsprechen. Dazu gehören ausdrücklich auch Vorschläge wie die solidarische Mindestrente, eine Kindergrundsicherung, eine sanktionsfreie Mindestsicherung, oder, darüber hinausgehend, ein Grundeinkommen. Wer der sozialen Sicherheit den politischen Vorrang gibt, darf sich von häufig neoliberal begründeten Denkverboten nicht schrecken lassen.

14.

Der vorgeschlagene Ansatz, soziale Sicherheit in all ihren Aspekten und darüber hinaus mit ihren Anknüpfungspunkten auf allen Politikfeldern zum Kern unseres politischen Profils in den vor uns liegenden Jahren zu machen, muss umfassend diskutiert werden. Wenn wir mit dieser gründlich, offen und breit zu führenden Debatte wie auch in den vergangenen Jahren zu entsprechenden Ergebnissen gekommen sind, ist es von entscheidender Bedeutung, diese auch gemeinsam auf allen Ebenen umzusetzen und mitzutragen. Eine Spaltung der Partei in einen Teil, der arbeitet und einen Teil, der kritisiert wäre insbesondere unter den Bedingungen schwindender Kräfte mehr als nur problematisch.

Rico Gebhardt ist Vorsitzender der Sächsischen Linkspartei und der Fraktion im Landtag. Sebastian Scheel ist Sprecher für Haushalt und Finanzen der Linken im Sächsischen Landtag und parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion.

Mehr zur Diskussion in der sächsischen Linken gibt es hier und hier.

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