Holzfällerhemden und andere Abgründe

Fans der Serie »Twin Peaks« feiern deren 25. Geburtstag und bangen um die geplante Fortsetzung

In der Fangemeinde herrscht blankes Entsetzen. »Wenn sich nicht herausstellt, dass die ›Überraschung‹ die definitive Bestätigung von S3 ist, werde ich wahnsinnig«, schreibt ein Kommentator auf der Webseite welcometotwinpeaks.com. Viel Hoffnung gibt es allerdings nicht: »25 Jahre Twin Peaks wird gefeiert, aber wir bedauern zutiefst, euch mitteilen zu müssen, dass wegen der jüngsten Mitteilungen unsere besondere Überraschung am 8. April nicht stattfinden kann«, heißt es an gleicher Stelle.

Der Schlag kam am Wochenende: Regisseur David Lynch erklärte auf Twitter, er habe nach einem Jahr und vier Monaten die Verhandlungen um die Realisierung einer dritten Staffel der Serie »Twin Peaks« aufgegeben, weil ihm nicht genug Geld angeboten worden sei. Zusammen mit Mark Frost hatte er bereits das Drehbuch für neun neue Episoden verfasst. Aber: »Kein David Lynch, kein Twin Peaks«, da sind die meisten Fans mit Schauspielerin Kimmy Robertson (in der Rolle der unvergleichlichen Lucy) einer Meinung. Denn nur jener Regisseur, der in Deutschland zuletzt Schlagzeilen machte, weil er auf dem Berliner Teufelsberg eine »vedische Friedensuniversität« errichten wollte, und dem die Welt so wunderbar komisch-verstörende Kinofilme wie »Blue Velvet«, »Wild at Heart« und »Mulholland Drive« verdankt, ist verrückt genug für das Projekt.

Der 8. April, für den die große Internetüberraschung angekündigt war, ist nicht nur der 25. Jahrestag der Erstausstrahlung des Pilotfilms der Serie in den USA, den sich im Jahr 1990 35 Millionen Menschen ansahen. Für Fans dieses Fernsehereignisses, ohne das viele der späteren so genannten Kultserien nicht vorstellbar wären, ist er ein Tag, vergleichbar mit dem, für den Nostradamus den Weltuntergang prophezeite. Bloß im positiven Sinne. Denn: »Wir sehen uns in 25 Jahren wieder«, hatte Laura Palmer in der letzten Folge zu FBI Special Agent Dale Cooper gesagt. Logischerweise in einer Traumsequenz, war Cooper doch herbeigerufen worden, um den Mord an der 17-Jährigen aufzuklären. Wobei Logik nicht gerade ein tragendes Element der Vorgänge in den waldigen Weiten der nördlichen USA war.

Umso erstaunlicher, dass David Lynch und Mark Frost tatsächlich eine neue Staffel für das kommende Jahr angekündigt hatten. »Special Agent« Kyle MacLachlan sollte bereits seinen Vertrag unterschrieben haben, die Namen von zehn weiteren Schauspielerinnen und Schauspielern von damals kursierten. Als Lynch vor drei Wochen »Komplikationen« andeutete, wurde dies auf der Webseite noch relativiert: »Sicherlich geht es um nichts, was nicht bei ein paar Tassen Kaffee und einem Stück Kirschkuchen zu lösen wäre.« Letzteres sind die großen Leidenschaften Coopers, vor allem Kaffee - heiß und »schwarz wie Mitternacht in einer mondlosen Nacht« -, den er im »Double R Diner« in Twin Peaks kannenweise zu sich nimmt. Viel mehr ist in dem Ort allerdings auch nicht zu holen.

»Ich habe noch nie so viele Bäume auf einmal gesehen«, spricht Cooper bei seiner Ankunft in der Provinzstadt in sein Diktiergerät. Bäume, im Originalzustand und in verarbeiteter Form, spielen dort, wo die Schülerin Laura Palmer ermordet aufgefunden wurde, eine Hauptrolle. Kaum eine Straßenszene, in der nicht im Hintergrund ein Truck durchs Bild fährt, der riesige Holzstämme abtransportiert. Ein dickes Holzscheit, das die geheimnisvolle Log Lady stets wie ein Baby im Arm trägt, ist eine Art Orakel des Ortes, das Sägewerk sein wichtigster Betrieb, das Great Northern Hotel durchgängig im derb-rustikalen Jagdhüttenstil mit vielen toten Tieren eingerichtet und das Holzfällerhemd ein äußerst beliebtes Kleidungsstück.

Optimales Ambiente also für eine Geschichte, in der es um Sex, Drogen und Gewalt geht, das Böse fröhliche Urständ feiert und fast jeder ein dunkles Geheimnis hütet. »Jeder ist auf seine Weise verrückt, und ebenso gut könnte man sagen, es sei hier vollkommen normal, verrückt zu sein«, schrieb Georg Seeßlen. Nicht alle Tassen im Schrank hat Andy, der Polizist, der immer weinen muss. Einen amtlichen Schuss weist die bezaubernde Audrey auf, die mit ihrer Zunge den Stiel einer Kirsche verknoten kann. Durchgedreht ist Nadine mit der Augenklappe und den übermenschlichen Kräften. Völlig durchgeknallt ist der gewalttätige Truckfahrer Leo. Sie und alle anderen muss man lieben wie die Verderbtheit der nicht einmal auf den ersten Blick heilen Welt.

Es bleibt ein kleiner Rest Hoffnung: Showtime-Chef David Nevins sagte, er versuche, die Vereinbarung mit David Lynch noch zu retten.

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