Erneut KZ-Gedenktafel in Thüringen geschändet
Ministerpräsident Ramelow: »Es ist nur noch zum Schämen« / Überlebende erinnern in Buchenwald an Selbstbefreiung / Historiker Knigge kritisiert Unterfinanzierung der Gedenkstätten
Berlin. Kurz vor dem Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald vor 70 Jahren ist auf dem Ehrenfriedhof von Ziegenrück in Thüringen eine Stele zum Gedenken an den Todesmarsch der Häftlinge geschändet worden. Laut Polizei wurde das Wort »Todgesoffen« in den Mahnstein geritzt, man ermittle wegen Störung der Totenruhe sowie Sachbeschädigung. Es ist bereits die zweite Schändung einer KZ-Gedenkstätte in Thüringen binnen weniger Tage. Zuvor war im Jonastal bei Arnstadt unmittelbar nach einer Gedenkfeier eine Tafel beschädigt worden, auch ein zur Ehrung der von den Nazis Ermordeten niedergelegtes Blumengebinde wurde verwüstet. Die Polizei geht von einem politisch motivierten Anschlag aus - es gebe inzwischen auch eine heiße Spur.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow reagierte entsetzt auf die neuerliche Tat. »Es ist nur noch zum Schämen und mich beschleicht Angst bei soviel Geschichtslosigkeit«, sagte der Linkenpolitiker im Kurznachrichtendienst Twitter. Die Thüringer Linkspartei erklärte, in der aktuellen Situation, »in der gerade erst begonnen wurde die Hintergründe der NSU-Verbrechen aufzuklären, in der Brandanschläge auf Flüchtlingsheime stattfinden und Menschen bedroht und angegriffen werden, ist es von besonderer Bedeutung der Millionen Opfer der faschistischen Terrorherrschaft zu gedenken und konsequent gegen Intoleranz, Rassismus, Neofaschismus und militärische Gewalt aktiv zu sein«. Man verurteile jede Relativierung der Nazibarbarei.
Am Wochenende erinnern die Überlebenden des KZ Buchenwald bei Weimar an ihre Befreiung vor 70 Jahren. Am 11. April 1945 hatten US-Truppen das Lager mit 21.000 Häftlingen erreicht, die faschistischen Lagertruppen flohen, die Häftlinge organisierten eine Selbstbefreiung. Im Schwur von Buchenwald hatten die Häftlinge 1945 festgehalten, alles zu tun, damit nie wieder Krieg und Faschismus entstehen und »eine neue Welt des Friedens und der Freiheit« aufzubauen. Dieses Vermächtnis der Überlebenden ist bis heute nicht erfüllt.
Mit einer Schweigeminute auf dem ehemaligen Appellplatz wollen am Samstag etwa 80 Überlebende um 15.15 Uhr - dem Zeitpunkt der Befreiung - ihrer ermordeten Mithäftlinge gedenken. Sie kommen aus mehreren Ländern Europas sowie aus Australien, Israel, den USA und Kanada an den Ort ihres Leidens zurück. Auch drei Veteranen der US-Armee, die mit ihren Panzern das Lager erreichten, werden erwartet. Am Abend werden die hochbetagten Männer und Frauen in einer »Langen Nacht« im Deutschen Nationaltheater in Weimar das Gedenken fortsetzen - mit Vorträgen, Filmen und Musik.
Unterdessen hat der Weimarer Historiker Volkhard Knigge die Unterfinanzierung der KZ-Gedenkstätten kritisiert. »Ich will es weder dramatisieren, noch verharmlosen«, sagte der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora der Deutschen Presse-Agentur. »Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo man darüber nachdenken muss, was kann man nicht mehr machen.« Dieses Problem habe die Bundesregierung erkannt. Sie wolle ihren Anteil für Gedenkstätten von nationaler Bedeutung wie Buchenwald, Dachau oder Ravensbrück von 2016 an erhöhen. Wie hoch die Erhöhung ausfallen werde, müsse noch mit den Ländern ausgehandelt werden.
Das Interesse an den Naziverbrechen sei bei Jugendlichen wie auch »Nachgeborenen« bis 40 Jahre hoch. »Eine Sättigung bei diesem Thema merken wir nicht«, sagte der Stiftungsdirektor. »Was wir merken, ist ein Überdruss und eine Sättigung am vordergründigen Moralisieren durch ein «Zeigefingerschwenken» am Sonntag«. Agenturen/nd
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