Wahre Finnen in Lauerstellung

Ministerpräsident Stubb steht vor der Abwahl / Erstmalige Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten in Aussicht

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 3 Min.
Das traditionell von einer Großen Koalition regierte Finnland droht bei der Parlamentswahl am Sonntag nach rechts zu kippen.

Die Finnen sind am Sonntag zur Parlamentswahl aufgerufen und viele Wähler meinen, es wäre höchste Zeit - obwohl der konservative Ministerpräsident Alexander Stubb erst neun Monate im Amt ist. Er übernahm den Posten im vergangenen Sommer, als Jyrki Katainen zum EU-Kommissar berufen wurde. Die Regierungskoalition hat sich jedoch nur mit großer Mühe zum Wahltermin durchgehangelt. Notwendige Reformen sind ausgeblieben oder gescheitert, zuletzt stimmten Regierungsparteien sogar gegen Vorschläge ihrer Partner.

Der Wahlkampf in dem 5,4 Millionen Einwohner zählenden EU-Land war von der matten Wirtschaftslage und dem wachsenden Defizit im Staatshaushalt geprägt. Eine breite Koalition bürgerlicher Parteien stellt sich zur Wahl, doch die Sparrezepte der konservativen Sammlungspartei von Stubb, der oppositionellen liberalen Zentrumspartei oder der Sozialdemokraten ähneln einander stark.

Die langanhaltende Eurokrise und die Russland-Sanktionen sind die Hauptursachen für die wirtschaftliche Rezession. Dazu kommen die Einbrüche in der für Finnland wichtigen Elektronik- und Papierindustrie. Die Arbeitslosenquote liegt bei mehr als zehn Prozent. Stubb kommentierte Finnlands Situation so: »Das I-Phone hat Nokia auf dem Gewissen und das I-Pad die Papierindustrie.«

Das Finanzministerium schätzt, dass es erst ab 2017 wieder Wachstum geben und die Verschuldung deshalb weiter steigen wird. Vor diesem Hintergrund kann der finnische Unwille gesehen werden, weitere Kredite für Griechenland mitzufinanzieren.

Für das Linksbündnis ist die Wahl die Chance, den jahrelangen parlamentarischen Niedergang, der seinen Höhepunkt mit dem Ausstieg aus der aktuellen Regierung im vergangenen Frühjahr aus Protest gegen Einsparungen im Sozialbereich, zu stoppen. Meinungsumfragen lassen auf Stimmengewinne hoffen. Das Linksbündnis spricht sich für eine expansive Finanzpolitik aus und will die Unternehmenssteuern erhöhen sowie Steuerflucht bekämpfen, um Renten und Stipendien zu erhöhen. Darüber hinaus sollen Investitionen in Infrastruktur und Industrie vorgenommen werden, die erneuerbare, umweltfreundliche Technologien fördern.

Ein ähnliches Programm hat die Grüne Partei vorgelegt. Auch sie war bis zum Vorjahr Koalitionsmitglied. Sie verließ die Regierung jedoch wegen der Baugenehmigung für einen neuen Atomreaktor, der mit russischer Technologie ausgerüstet werden soll. Neben traditionellen Umweltthemen ist die Forderung nach einem Bürgerlohn für alle, die nicht im Arbeitsmarkt sind, die wichtigste Forderung der Grünen. Daneben soll insbesondere das Schul- und Ausbildungssystem verbessert werden.

Selbst die nationalistische Partei der Wahren Finnen hat Interesse gezeigt, ihre Protestrolle gegen Regierungsverantwortung zu tauschen. Ihr Programm ist weiterhin auf die Begrenzung der Einwanderung und Bekämpfung der EU gerichtet, aber die Partei hat Kompromissbereitschaft signalisiert. Die Wahren Finnen müssen zwar mit Stimmeneinbußen rechnen, könnten aber jüngsten Umfragen zufolge auf 16 Prozent kommen.

Die letzten Meinungsumfragen deuten insgesamt darauf hin, dass die jetzige Koalition eine deutliche Mehrheit erringen wird, doch wird es Machtverschiebungen zwischen den Parteien geben. So wird die Zentrumspartei ihre traditionelle Rolle als größte des Landes wieder einnehmen und ihr Spitzenkandidat Juha Sipilä vermutlich der nächste Ministerpräsident. Stubb und seine Sammlungspartei drohen hinter den Sozialdemokraten nur auf Platz drei zu landen. Allerdings gaben 40 Prozent der Befragten an, noch nicht entschieden zu haben, wo sie ihr Kreuz setzen.

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