Auschwitz-Überlebende spricht im Prozess gegen Ex-SS-Mann

Gröning streitet regelmäßigen Dienst an der Rampe ab

  • Lesedauer: 3 Min.

Lüneburg. Im Auschwitz-Prozess gegen den früheren Lager-Buchhalter Oskar Gröning ist am Mittwoch erstmals eine Überlebende des Vernichtungslagers zu Wort gekommen. Eva Kor (81) schilderte vor dem Lüneburger Landgericht, wie im Frühjahr 1944 ihre Eltern und zwei Schwestern in Auschwitz ermordet wurden. Nur sie und ihre Zwillingsschwester überlebten, weil sie vom Lagerarzt Josef Mengele für seine grausamen Menschenversuche missbraucht wurden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem heute 93-jährigen Gröning vor, im Frühjahr 1944 in Auschwitz Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen geleistet zu haben.

Eva Kor gehört zu den mehr als 60 Überlebenden und Angehörigen von Opfern, die in dem Prozess Nebenkläger sind. Sie forderte Gröning auf, zur Aufklärung der Verbrechen im Lager und ihres persönlichen Schicksals beizutragen. »Mehr als 70 Jahre später bin ich hier, weil ich nicht aufgegeben habe«, sagte die aus den USA angereiste 81-Jährige: »Ich habe den Nazis vergeben. Das spricht den Täter aber nicht davon frei, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen.« Gröning könnte junge Menschen vor rechtsextremen Ideologien bewahren, wenn er schildere, was in Auschwitz passiert ist.

Gröning bestritt am zweiten Prozess-Tag, regelmäßig an der Lager-Rampe in Auschwitz-Birkenau das Gepäck der ankommenden Menschen bewacht zu haben. »Ich bin ja nur dreimal auf der Rampe gewesen.« Von der Selektion der Menschen, die vielfach direkt von der Rampe in Gaskammern getrieben und ermordet wurden, habe er sich ferngehalten. Nach seiner Beförderung zum SS-Unterscharführer im Jahr 1944 habe die Bewachung des Gepäcks an der Rampe nicht mehr zu seinen regulären Aufgaben gehört.

Anderslautenden Aussagen von seiner Vernehmung im Jahr 1978, mit denen ihn einer der Richter konfrontierte, widersprach der Angeklagte. Er habe damals auch Dinge vorgetragen, die er gar nicht persönlich erlebt habe. Zudem bezögen sich einige Äußerungen auf seine Zeit in einem anderen Lagerteil, wo er vorher eingesetzt war. Oft antwortete Gröning nicht direkt und teilweise abschweifend auf die Fragen. Wegen Erschöpfung des 93-Jährigen wurde seine weitere Befragung vertagt.

Gröning war in Auschwitz für das Gepäck der verschleppten Menschen mit zuständig. Er verbuchte auch das Geld, das sie bei sich hatten. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hat er Spuren der Massentötung verwischt, indem er half, Gepäck wegzuschaffen. Zum Prozessauftakt am Dienstag hatte er eine moralische Mitschuld an den Verbrechen eingeräumt. Zugleich aber sagte er, die juristische Schuldfrage müsse das Gericht klären.

Die Anklage beschränkt sich auf die Zeit der sogenannten »Ungarn-Aktion«: Zwischen dem 16. Mai und dem 11. Juli 1944 trafen in Auschwitz mindestens 137 Eisenbahntransporte mit rund 425.000 jüdischen Menschen aus Ungarn ein, von denen mindestens 300.000 in den Gaskammern getötet wurden. Weil Gröning aus der Lüneburger Heide kommt, wird vor dem Lüneburger Gericht verhandelt. Dabei vertritt die zuständige Staatsanwaltschaft Hannover die Anklage. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. epd/nd

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