Geteiltes Leid

Andreas Koristka überlegt, warum sich Amazon plötzlich freiwillig den deutschen Finanzbehörden ausliefert

Es ist ein gewagter Schritt, dem man höchsten Respekt zollen muss: Das Online-Versandkaufhaus Amazon - bisher als Hort der kapitalistischen Finsternis verschrien - hat sich dazu durchgerungen, seine Gewinne aus dem Deutschland-Geschäft zukünftig auch in Deutschland zu versteuern. Jeder Deutsche, der gerade verzweifelt vor seiner Steuererklärung sitzt, weiß, welch Ungemach nun auf das Unternehmen zukommt.

Bis zum 31. Mai wird Konzernchef Jeff Bezoz persönlich vor den Formularen sitzen, vor ihm ein Wust aus Unterlagen, neben ihm die im Jähzorn mit einem Rechenschieber erschlagene Gattin. Mit zittrigen Fingern wird er seine Einnahmen-Überschuss-Rechnung erstellen und bei Feldern, die er nicht ganz genau versteht, wird er wie jeder bürokratie-erprobte Deutsche auch, mit irrem Kichern eine Zufallsantwort geben: Hinter «Ausgleichszahlungen im Rahmen des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs» schreibt er dann «12345» und hinter Einkommensersatzleistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen (soweit nicht in Zeile 27 bis 29 der Anlage N eingetragen)«, kritzelt er einen kleinen Puller.

Doch warum tut sich der Mann das an? Lebte er nicht bis vor Kurzem sorgenfrei? In Luxemburg, wo Amazon bisher steuerpflichtig war, war das System viel durchsichtiger. Es erklärte sich geradezu von selbst: Man zahlte ein Prozent seiner Gewinne und spendierte Jean-Claude Juncker eine Flasche Fernet-Branca. Das war’s! Auf diese erfrischende Unkompliziertheit verzichtet Amazon nun freiwillig und begibt sich in die gierigen Pranken des deutschen Fiskus.

Wahrscheinlich ist es allein Bezoz’ Großmut zu verdanken, dass er sich freiwillig dem deutschen Bürokratieterror aussetzt. Oder es liegt daran, dass Amazon sowieso nichts zahlen muss, weil es gar keine Gewinne macht. Wie jedes vernünftige Online-Unternehmen schreibt nämlich auch Amazon ordentliche Verluste. Das gehört sich so in der Branche. Erfolg bemisst sich im Web nämlich nicht am schnöden Mammon, sondern eher so an Zukunftsaussichten, Style und Sascha Lobos Frisur. Für die Bewertung eines Unternehmens ist es da nicht ganz so wichtig, wie viel Geld es heute einbringt, sondern wie viel Verlust es morgen machen kann.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass Amazon für ein gutes Image deutsche Gesetze akzeptiert. Es muss ja nicht gleich ausarten. Denn deutsches Arbeitsrecht, Betriebsräte und den ganzen Kokolores, wird man natürlich auch zukünftig nicht mitmachen. Das wäre ja auch noch schöner, wo man schon in der BRD seine Abgaben zahlt (also theoretisch jedenfalls) und ständig den heißen Atem und die quietschenden Rollstuhlräder von Wolfgang Schäuble in seinem Nacken spürt.

Man wird abwarten müssen, ob sich andere Unternehmen auch in Deutschland ehrlich machen werden. Vielleicht kann sich die Deutsche Bank endlich dazu durchringen, deutsches Strafrecht zu akzeptieren und schickt all ihre lebenden Vorstandsvorsitzenden ins Gefängnis. Die Supermarktkette Kaiser’s könnte dank Anerkennung hiesiger Geschmacksnerven die Verantwortlichen für den widerlichen Bulgur-Salat auspeitschen lassen und die Post könnte endlich die Arbeitszeiten der Bevölkerung zur Kenntnis nehmen und ihre Paketabholstationen werktags erst 19 Uhr schließen.

Es gäbe noch viele Missstände aufzuzählen, die einen als ehrlichen Wutbürger empören. Aber wir wollen es hierbei belassen und nur noch einmal Opel erwähnen. Die sollten die medizinischen Kosten für den schlimmen Augenkrebs übernehmen, den ihre Karosserien verursachen.

Zu hoffen bleibt, dass das Beispiel Amazons ein Fingerzeig in Richtung einer verantwortlichen Marktwirtschaft sein wird, dem viele Unternehmen folgen werden. Und vielleicht ist das ja der erbauliche Gedanke, der einem beim Ausfüllen der eigenen Steuererklärung hilft: Die Konzerne werden es irgendwann nicht leichter haben als die Bürger.

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