Kein rostiger Nagel

Dr. Living Dead

Gut gemachtes Plagiat oder ein von Vorbildern inspiriertes, aber doch eigenständiges Stück Musik? Wer hat sich diese Frage nicht schon einmal gestellt, nachdem er eine vom örtlichen Plattenhändler erstandene CD in den Player geschoben hat? Genau so ergeht es dem Hörer der neuen Scheibe von Dr. Living Dead: Schon nach den ersten Tönen von »Crush The Sublime Gods« guckt er verdutzt aus der Wäsche: Läuft da gerade eine Scheibe der Crossover-Kings Suicidial Tendencies (ST), die im CD-Regal direkt neben dem Backkatalog der Schweden einsortiert sind?

Neuere Bands kupfern gerne bei ihren Lieblingen ab. Das machen auch die Schweden so, die auf der Bühne mit Totenschädelmasken auftreten. Vor allem der Gesang weckt Erinnerungen an ST-Frontschwein Mike Muir. Selbst der Kleidungsstil mit Stirnbändern, hochgeklappten Schirm᠆mützen und Shorts ist den Kaliforniern nachempfunden. Außer an ST erinnern die Schweden auch immer wieder an die Thrash-Metaller von Anthrax und Hardcore-Bands wie Terror oder S.O.D. Mit Innovation kann »Crush The Sublime Gods« also nicht gerade punkten.

Das tut der Musik zunächst aber keinen Abbruch. Auf dem Album wird gethrasht, dass sich die Balken biegen. Ob in Highspeed- oder im Midtempo, die Stockholmer sprühen nur so vor Spielfreude. Auf dem Album kommen die Melodien ebenso wenig zu kurz wie die Härte. Und der Groove in den langsameren Passagen ist für die meisten aktuellen Bands eh eine Nummer zu groß. Der Hörer wird praktisch genötigt, den Tennisschläger aus dem Schrank zu holen, sich vor den Spiegel zu stellen und an der Luftgitarre die Saiten zu malträtieren.

Neben der frappierenden Ähnlichkeit zu ihren Vorbildern haben Dr. Living Dead jedoch ein weiteres Manko: Ihr Sound ist zu sauber. Es fehlen der Schmutz sowie die Ecken und Kanten, die vor allem die Thrash-Metal-Bands der frühen 1980er Jahre so einmalig machten. Wenn die Band sich schon bei den Genregrößen bedienen möchte, dann doch bitte eher bei altem Sodom- oder Sepultura-Material und dafür etwas weniger bei ST. Das hätte »Crush the Sublime Gods« sicher gut getan. Der Platte fehlt nämlich der rostige Nagel, an dem sich der Hörer verfängt, der ihm seinen T-Shirt-Ärmel zerreißt und seinen Oberarm bluten lässt. Zudem stellt sich gegen Ende des Albums ein Anflug von Langeweile ein. 15 Songs sind zu viel. Eine EP mit sechs bis acht Stücken wäre das bessere Format gewesen.

Alles in allem ist »Crush The Sublime Gods« eine gutes Album, das man getrost kaufen kann, aber nicht muss. Ein kurzweiliges Hörvergnügen für zwischendurch ist es allemal. Ob sich die Heavy-Metal-Gemeinde in zehn Jahren noch an die Platte erinnern wird, darf mit Recht bezweifelt werden.

Dr. Living Dead: »Crush The Sublime God« (Century Media).

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