Machtlos? Macht nichts!

Das Festival »The Power of the Powerlessness« im HAU sucht nach alternativen Strategien des Widerstands

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Während des dreiwöchigen Festivals »The Power of the Powerlessness« im Berliner Theater Hebbel am Ufer tauschen Bühnenkünstler Ohnmachtserfahrungen aus – und verstehen das als Strategie der Selbstermächtigung.

Ohnmacht ist, wenn man sieht, wie an einen Baum, 100 Jahre alt, groß gewachsen, gesund, die Säge angelegt wird und das Fällunternehmen ungerührt die vom Bezirksamt unterzeichnete Fällgenehmigung vorzeigt. Die Ohnmacht wird verstärkt, wenn es dann kracht und knirscht, der Baum sich neigt und zahlreiche Vögel, die in ihm Heimstatt hatten, erschreckt aus dem plötzlich niederfallenden Geäst aufsteigen.

Ohnmacht ist, wenn ein Mensch, den man liebt und von dem man sich, trotz aller Streitereien, geliebt fühlt, plötzlich per SMS mitteilt, es sei aus, und jede Aus-Sprache ablehnt.

Ohnmacht ist, wenn man in einem Land geboren wurde, das, seit man denken kann, nur einen Herrscher, eine Herrscherin kennt und in dem Institutionen erstarrt sind im Günstlingsbetrieb, der nur den eigenen Vorteil im Auge hat und allenfalls als Beiprodukt Verbesserung für eine größere Gruppe zeitigt.

Ohnmachtserfahrungen verschiedenster Art sammeln und bearbeiten vom 4. bis zum 25. Juni die beim Festival »The Power of the Powerlessness« versammelten Künstlerinnen und Künstler im HAU. Als Zeichen der Machtlosigkeit mag man schon deuten, dass das Titelthema auf Englisch gewählt wurde, ganz so, als sei das Wortspiel mit der »Power« und der »Powerlessness« schicker als die vergleichsweise harten Begriffe von Macht und Ohnmacht. Allerdings steckt auch eine Kraft dahinter. Denn die Protagonisten des Festivals kommen aus der ganzen Welt und verständigen sich eben in der so verbindenden wie nivellierenden lingua franca des Globalisierungszeitalters.

Edit Kaldor etwa stammt aus Ungarn. Ihr Projekt »Inventar der Ohnmacht« (5.-7.6.) sammelt Ohnmachtserfahrungen verschiedenster Teilnehmer und ist auch der Motor dieses Festivals. »Wir haben gedacht, diese Thematik ist nicht nur für ein Projekt spannend, weil es einen Zugriff auf nicht sichtbare Perspektiven und Strategien bietet«, erklärt Aenne Quinones vom künstlerischen Leitungsteam des HAU. Und so ist dann eben auch Zachary Oberzan am Start, ein Performer aus den USA, der zu etwa der gleichen Zeit nach einer Überdosis des Angstlösers Xanax zwischen Leben und Tod schwebte, in der auch Landsfrau Whitney Houston an dieser Schwelle stand. Houston ging hinüber in den Tod, Oberzan kehrte zurück und erzählt in »Tell Me Love Is Real« (5.-7.6.) darüber.

Vlatka Horvat, in England lebende Künstlerin, die in Kroatien noch zur Schule ging, versammelt beim »15. Außerordentlichen Kongress der Kommunisten Jugoslawiens« (7.6.) Künstlerinnen, die in den anderen jugoslawischen Teilrepubliken geboren wurden und in ihrem Zusammensein an die Folgen des »14. Außerordentlichen Kongresses«, des letzten »echten« dieser Art, erinnern; da nahm die Auflösung der Balkanrepublik ihren institutionellen Anfang.

Geht es bei dem von Horvat organisierten Zusammentreffen stark um das Benennen von Verlustmomenten anlässlich eines eher als Unfall erfahrenen Einstiegs in die kapitalistische Gesellschaft, so widmet sich die Kanadierin Nadia Ross in »What Happened to the Seeker?« (18.-21.6.) selbstbewussten Aussteigern aus dieser Effizienzgesellschaft: den Blumenkindern der 60er und 70er Jahre, ihres Zeichens spirituelle Sinnsucher in einer materiell übersättigten Mittelstandsgesellschaft.

Die Auflistung zeigt schon, dass auch diese Ohnmachtserfahrungen weitgehend im gemilderten abendländischen Kontext angesiedelt sind. Kaldor immerhin hat bei »Inventar der Ohnmacht« auch Migranten vom afrikanischen Kontinent eingeladen. Quinones hat bei der Vorbereitung dieses Projekts erfahren, dass Migranten sich eben nicht permanent als machtlos empfinden, sondern diese Machtlosigkeit auch als Zuschreibung durch die Gutgesinnten erfahren. Das Festival kann also auch den Mitleidsdiskurs aufbrechen und die Dynamiken des wohlmeinenden Stellvertretens in Frage stellen.

Vor allem geht es dem HAU aber um das Aufspüren von künstlerischen und sozialen Strategien des Widerstands gegen die gegenwärtigen Machtstrukturen. Kaldor etwa glaubt an Netzwerke der Machtlosigkeit und der Machtlosen, die beachtliche Kraft entfalten können. Das Theater erscheint ihr als ein Ort, der gute Bedingungen für ein Gedeihen solcher Netzknotenpunkte bietet, weil er, wie sie meint, »Initimität unter Fremden« zulässt. »Ich mag den konzentrierten Raum des Theaters. Hier stellen wir das Zappen ein und sind eher bereit, Zeit und Aufmerksamkeit zu investieren«, schreibt sie in der Begleitbroschüre zum Festival. Ein sanfter Ansatz, im gelingenden Falle einer mit Tiefenwirkung.

Hebbel am Ufer, 4. bis 25. Juni

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