Besuch vom Kopfgeldjäger

Ausgetrickst und gefeuert - wie die Mediengruppe Thüringen Zusteller vor die Tür setzt

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Mediengruppe Thüringen (MGT) hat im Zeitungsgeschäft praktisch Monopolstellung im Freistaat. Umso verheerender ist es für MGT-Mitarbeiter, wenn sie den Job dort verlieren.

Die Medienkonzentration in Thüringen nimmt zu - auf Kosten der Beschäftigten. Als die Mediengruppe Thüringen (MGT) - zuvor Zeitungsgruppe Thüringen (ZGT) - Ende 2014 Teile des insolventen Erfurter CMAC-Verlags aufkaufte, machten sich viele der dort Beschäftigten Hoffnung auf eine längerfristige berufliche Perspektive unter dem Dach eines der größten Verlagshäuser der Republik. Schließlich gehört die MGT zur Essener Funke Mediengruppe, die aus dem ehemaligen WAZ-Konzern entstanden ist und als bundesweit drittgrößter Zeitungsverlag gilt. Der Konzern hat mit den Blättern »Thüringer Allgemeine«, »Ostthüringer Zeitung« und »Thüringische Landeszeitung« eine faktische Monopolstellung im Freistaat. Doch es kam für zahlreiche Beschäftigte anders.

Zu den Hauptprodukten des CMAC-Verlags, der bis 2014 ein Druckzentrum in Erfurt betrieb, gehörte das kostenlose, wöchentlich in ganz Thüringen erscheinende Anzeigenblatt »Die Hallos« - mit 54 Vollzeitkräften in den Bereichen Vertrieb, Logistik und Beilagengeschäft und über 3200 Zustellern. Zunächst schien deren Weiterbeschäftigung zumindest für ein Jahr gesichert, nachdem sie von der MGT-Tochter INKO Logistik übernommen worden waren. Schließlich handelte es sich hier auch nach offizieller Mitteilung der MGT-Medien um einen Betriebsübergang, Arbeitsverträge sollten entsprechend der gesetzlichen Regelungen fortgelten.

Für Betriebsübergänge sieht Paragraf 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches vor, dass bestehende Arbeitsverhältnisse, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen »nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden« dürfen. Insolvenzverwalter Dirk Götze gab sich im vergangenen Winter sogar zuversichtlich, dass die Jobs »durch die Übernahme dauerhaft gesichert sind«.

Doch für viele Zusteller kam schon wenige Monaten nach dem Übergang in die INKO Logistik die kalte Dusche. Offenbar auf Anweisung der Verlagsspitze wurden sie von leitenden Angestellten im Mai 2015 dazu aufgefordert, »freiwillig« vorgefertigte Aufhebungsverträge zu unterschreiben und damit auf Grundlage einer einmaligen und geringen Prämienzahlung faktisch auf alle ihnen zustehenden Rechte zu verzichten.

Allem Anschein nach gab es für die leitenden Angestellten dabei »Kopfprämien« als besonderen Anreiz für den Abschluss von Aufhebungsverträgen mit den Zustellern. »Habe im Zeitraum vom 27.5. bis 29.5. 18 Zusteller aufgesucht. Davon haben 11 Zusteller den Aufhebungsvertrag unterschrieben, ergibt 110 Euro. 7 Zusteller haben die Kündigung bekommen. Ich bitte um Überweisung der Prämie«, heißt es im Schreiben eines leitenden Angestellten an die Geschäftsführung, das »nd« vorliegt. Ein anderer schreibt an das INKO-Management: »Ich beziehe mich auf die Zusage vom 19.05.2015 hinsichtlich der Abwicklung Arbeitsverträge Zusteller. Mit 23 Zustellern wurden Aufhebungsverträge geschlossen. Um Überweisung des zugesagten Betrages auf das Konto wird gebeten.«

»Wollte man hier möglicherweise gerechtfertigten Kündigungsschutzklagen mit vergleichsweise geringem finanziellem Einsatz vorbeugen?«, fragt Rainer Kräuter, gewerkschaftspolitischer Sprecher der Thüringer Linksfraktion. »Aus dem Unternehmen war zu hören, dass die Kunden der INKO Logistik in ein anderes Tochterunternehmen des Konzerns umgeschichtet worden waren und für INKO Logistik keine Aufträge mehr existierten. Schaltet man so die Konkurrenz aus?«

Wer als Zusteller den Aufhebungsvertrag trotz Zuredens nicht unterschrieb, dem flatterte Ende Mai ein Kündigungsschreiben zum 30. Juni 2015 ins Haus. Einige der Betroffenen wollen sich mit diesem Rauswurf nicht abfinden und mit Hilfe der Gewerkschaft ver.di gerichtlich gegen die Kündigung klagen.

Der Umgang des Unternehmens mit seinen Zustellern sei »unfassbar,« so der Abgeordnete Kräuter. Bestürzend sei aber auch die »Leichtgläubigkeit« einiger Beschäftigter. Es sei deutlich geworden, »dass Arbeitnehmer ihre Rechte nur wirksam schützen und vertreten können, wenn sie sich in Gewerkschaften organisieren und Betriebs- und Personalräte wählen«.

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