Die Zeit kommt nie wieder

Oliver Kern über die Rückkehr der ARD zur Frankreichrundfahrt

  • Lesedauer: 2 Min.

Welch unangenehme Erinnerungen kommen hoch, denke ich etwa 15 Jahre zurück. Damals sendeten ARD und ZDF noch live von der Tour, und mir gingen die ewigen Schilderungen über Schlösser, Weine und Kirchen auf die Nerven. Zu Eurosport umschalten ging auch nur selten gut, wurde der sportliche Genuss doch auch hier immer wieder unterbrochen - von Werbung. Und doch schwänzte ich Seminare, um bis zu sieben Stunden am Stück meine »Helden der Straße« zu beäugen. Wollte ich schon an der ersten von acht Bergwertungen in den Gesichtern von Jan Ullrich, Marco Pantani und Lance Armstrong erkennen, wer heute Zeit verlieren würde, musste ich eben Jürgen Emig und Herbert Watterott ertragen.

Nun hofft die ARD, solche Verrückten wie mich wieder vor die Bildschirme zu locken und kehrt zur Live-Übertragung der Tour zurück. Doch so viele Verrückte gibt es nicht mehr in Deutschland. Der Boom ist nach Großbritannien weitergezogen, wo sich plötzlich jeder Zweite ein Rennrad der Marke kauft, die auch Bradley Wiggins oder Chris Froome fahren. Dass Tony Martin, John Degenkolb und Marcel Kittel am verfestigten Eindruck, dass die ja sowieso alle dopen, nichts ändern können, ist mittlerweile klar. Ob der stimmt, ist leider völlig nebensächlich.

Trotz der guten Absichten - zumindest besseren als bei Eurosport -, Doping im Ersten immer wieder in den Blickpunkt stellen zu wollen, glaubt auch niemand mehr daran, dass der Sumpf jemals komplett ausgetrocknet wird, selbst wenn jene nächste Generation der deutschen Profis noch so sehr beteuert, mit lauteren Mitteln um ihre Siege zu kämpfen. Zweimal lässt sich eben niemand gern veräppeln.

Ich werde den Fernseher trotzdem anschalten. Das habe ich auch in den vergangenen Jahren immer wieder getan. Aus Respekt vor jenen mir letztlich unbekannten wahren Helden, die es wirklich pharmaziefrei versuchen. Die meisten Berge bin ich selbst mal hochgeradelt. Ich weiß, wie weh das tut. Die Jungs haben es verdient, dass man ihnen wenigstens für ein paar Minuten zusieht. Zujubeln werde ich ihnen aber nicht mehr.

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