Wechsel in der Perspektive

Dahlemer Kunsthaus: Vom Staatsatelier Arno Brekers zum Ort kunsthistorischer Auseinandersetzung

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 6 Min.

Monumental wie licht: Dieser Eindruck vermittelt sich wohl jedem Besucher, der in diesen Tagen das beeindruckende Gebäude im Grunewalder Käuzchensteig durch die sechs Meter hohen Flügeltüren betritt. Seit Kurzem wird im einstigen Atelier Arno Brekers in Dahlem anschaulich die gesamtdeutsche Nachkriegs-Moderne vor Augen geführt. In der Eröffnungsschau «Porträt Berlin» sind 70 Werke von 20 Künstlern zu sehen.

Der Blick wandert beim Rundgang staunend drei Meter bis unter die Decke. Von außen erinnert das Gebäude durchaus an den Stil des Neuen Bauens, wäre da nicht ein umlaufendes Kranzgesims mit Attika, welches die drei Bauteile optisch miteinander verbindet. Dabei schließen sich an den kubischen Mittelbau aus gelbem Rüdersdorfer Ziegel jeweils zwei niedrigere Kuben an. Ironie der Geschichte: Das 1942 fertiggestellte Atelier stieß seinerzeit auf entschiedenen baupolizeilichen Widerstand. Denn nach den Vorstellungen der städtebaulichen Gesamtplanung sah man das Areal westlich der Kronprinzenallee vor für all jene Bewohner, deren Häuser den Flächenabrissen im Rahmen der wahnwitzigen Germania-Pläne zum Opfer fallen sollten. Entsprechend der Stadtrandlage am Grunewald plante man hier eine «Waldsiedlung» mit traditionalistischen, landschaftsbezogenen Wohnhäusern im sogenannten Heimatschutzstil. Paradoxerweise sprach sich indes Albert Speer persönlich - als «Generalinspekteur» (GBI) für die Transformierung Berlins zu «Germania» - gegen diesen Atelierbau im «Heimatschutzstil» aus und forderte stattdessen eine Gebäudegliederung «mit repräsentativ großstädtischem Charakter».

Doch zurück zum Inneren. Während die schlichte Sichtziegelfassade und die eisernen Sprossenfenster an Industriebauten erinnern, qualifizieren Größe, Proportionen, Abfolge und Ausstattung der Ateliers das Gebäude eindeutig als Statussymbol. Die Initiative für den Bau für Arno Breker ging von Hitlers Chef-Architekt und NS-Manager Speer aus «zur Ausführung von künstlerischen Aufträgen anlässlich der Neugestaltung der Reichshauptstadt». Reüssiert hatte Breker, der noch in den 1920er Jahren einer dekorativen Figuration zugeneigt war, im «Dritten Reich» durch seine kraftvollen, muskulös durchgestalteten Körper. Spätestens, als Goebbels Brekers Großplastik «Prometheus» (1935) für den Garten des Propaganda-Ministeriums angekauft hatte und sich daraufhin der Bildhauer zur Ausgestaltung des Berliner Olympiageländes mit zwei Skulpturen durchgesetzt hatte, war auch Hitlers Aufmerksamkeit auf den künftigen «Michelangelo des Dritten Reichs» gelenkt.

Dorothea Schöne, Leiterin des soeben eingeweihten «Künstlerhauses Dahlem», mahnt zur Differenzierung: «Es gibt ein Werk Brekers vor 1933, es gibt eines nach 1945. Und es gibt eines in der NS-Zeit. Und auch dieses ist nicht einfach in eine Schublade zu werfen! Da gibt es noch viel aufzuarbeiten. Ich finde es überdies interessant, wie sich der Breker-Schüler Bernhard Heiliger entwickelt und aus dem Schatten seines Lehrers tritt.» Heiliger war nach 1949 - und einer Zwischennutzung des Gebäudes durch die US-amerikanische Besatzung - hier eingezogen. Ihn beschlich durchaus zunächst einige «Scheu» Bezug zu nehmen in diesen politisch belasteten Hallen. Doch schließlich war Atelierraum im zerbombten Berlin rar, und Heiliger schätzte zunehmend die großzügigen Räumlichkeiten, in denen er bis zu seinem Tode 1995 lebte und arbeitete. Den Garten zieren bis heute etliche seiner abstrakten Skulpturen. Parallel zu Heiliger, der von seiner «Flamme» am Ernst-Reuter-Platz bis zum «Auftakt» in der Philharmonie das Bild West-Berlins geprägt hat, nutzten bedeutende Künstler als Stipendiaten die Räumlichkeiten. Den Anfang machte 1964 Emilio Vedova, dessen «Absurdes Berliner Tagebuch» hier gedieh - ein Werkkomplex aus mehreren bemalten Holztafeln, welche in dem riesigen Raum von der Decke hingen, heute im Besitz der Berlinischen Galerie. Seit den 1970er Jahren vergaben der Berliner Kultursenat und das DAAD-Künstlerprogramm zehn Ateliers, die quasi in den Zentralraum einmontiert wurden.

Genau zwanzig Jahre nach Heiligers Tod wurde nun das berühmt-berüchtigte Atelier einer neuen Bestimmung übergeben. Noch im vergangenen Herbst karrten hier Bauarbeiter den Beton aus den gigantischen Türen. Der Rückbau zum ursprünglichen Zustand des Breker-Baus ist geglückt - und bietet eine wunderbare Plattform, um Kunst der gesamtdeutschen Moderne von 1945 bis in die frühen 1960er Jahre zu zeigen. Das als Tochtergesellschaft der Bernhard-Heiliger-Stiftung gegründete «Künstlerhaus Dahlem» ist das einzige Museum in Berlin, das sich dieser schwierigen und dennoch produktiven Phase der Nachkriegskunst widmet. Dorothea Schöne konturiert das Anliegen ihres Hauses so: «Nach zwölf Jahren NS-Diktatur und -Propaganda sind die zentralen Anliegen der Künstler und Ausstellungsmacher dabei eine Rehabilitierung der im Nationalsozialismus verfemten Künstler der Moderne, eine Bestandsaufnahme dessen, was trotz Diktatur erhalten geblieben ist und schließlich der Versuch einer Definition, was im Nachkriegsdeutschland in den Künsten Geltung haben solle.»

Den Auftakt macht die sehenswerte Schau «Porträt Berlin: Künstlerische Positionen der Berliner Nachkriegsmoderne 1945-55». Eindrucksvoll, wie die Maler, Zeichner und Bildhauer die geschundene, sich soeben wieder aufrappelnde Stadt hüben wie drüben ins Visier nehmen: Auf Heinz Trökes «Bühne der Zerstörung» purzeln Schädel und Körperteile vor Häuserskeletten durcheinander. Louise Stomps kompakte Skulptur «Kauernde» scheint in sich zu gehen. Ebenso schaut Gerhard Marcks’ «Gefesselter Prometheus» bedrückt zu Boden. Über Alexander Camaros «Niemandsland» irrlichtert ein fahler Mond. Und Bernhard Heiligers «Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen» ist dessen Beitrag zum Wettbewerb mit dem nämlichen Sujet, welchen 1952 das Institute of Contemporary Art (ICA) in London ausgeschrieben hatte.

«Wir möchten Heiliger nicht vornehmlich als Breker-Schüler zeigen», erläutert Schöne ihr Konzept. «Er ist ein Kind seiner Zeit. Es handelt sich um eine Generation, die nicht allzu bekannt ist für den offenen Umgang mit der NS-Zeit.» Die Museumsleiterin, die über die Berliner Nachkriegsmoderne und deren Förderung durch die USA promoviert wurde, ist davon überzeugt, dass man gerade solch eine prekäre Stätte wie das Breker-Atelier für das Publikum öffnen muss. «Zusperren wäre absolut kontraproduktiv, lässt sich doch hier eine Menge präsentieren gerade für eine solche Generation, die nicht mehr zu den Augen- und Zeitzeugen der Jahre nach 1945 angehören. »Ich gehöre zu jenen, die fragen, welchen Erkenntnisgewinn wir daraus ziehen, dass jemand Schüler eines Künstlers gewesen ist, der sich hat korrumpieren lassen und den Bauschmuck von ›Germania‹ geschaffen hat.« Welche Erkenntnisse wären denkbar, die mehr sind als eine persönliche Verunglimpfung eines Namens oder Nachlasses? Bernhard Heiliger beispielsweise war niemals in der NSDAP, er hat sich für keine propagandistischen Zwecke einspannen lassen.

Neben Bernhard Heiliger zeigt Schöne in der Schau zudem Werke eine Schülerin von Breker: nämlich Ruthild Hahne. Nach 1945 bekundete die 1910 in Berlin geborene Bildhauerin, deren Wohnatelier noch heute in Niederschönhausen zu besichtigen ist, dass sie nur dank Brekers Schulung in der Lage war, große Abgüsse zu schaffen. »Dies muss man erst mal können«, betont Museumschefin Schöne. »Einen Torso zu strecken und gleichzeitig die Beine wie Hände zu schrumpfen.« Würde man die Kolosse eines Breker auf Lebensgröße reduzieren, so ergäben sich nämlich vollkommen verwachsene Figuren. Im Jahre 1947 schuf sie die Kinderporträts »Nora« und »Richard«, den Sprösslingen des ehemaligen amerikanischen Majors George Wheeler. Zugleich aber begründete sie, die sich in den 1940er Jahren in der »Roten Kapelle« engagiert hatte, die spätere Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Bekannt sind ihre Bildnisse von Lenin, Liebknecht und Wilhelm Pieck. Ihr Talent zur Großplastik stellte sie unter Beweis, als sie sich gegen 182 Konkurrenten zur Schaffung eines Thälmann-Denkmals für den heutigen Wilhelmplatz durchsetzen konnte. Es wurde zu ihrem zentralen Lebenswerk. Realisiert wurde es dennoch nicht. In ihrem Garten steht heute eine hüfthohe Replik von Michelangelos »David«. Auch plastische Maßstäbe sind eben relativ.

Porträt Berlin - Künstlerische Positionen der Berliner Nachkriegsmoderne 1945-1955, Kunsthaus Dahlem, Käuzchensteig, Berlin-Dahlem. Mi.-Mo., 11-17 Uhr. Di. geschlossen.

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