NATO verliert kein Wort über Angriffe auf Kurden

Erdogan will auch gegen Mitglieder der linken Oppositionspartei HDP vorgehen / Militäreinsatz gegen PKK und IS wird fortgesetzt / Gaspipeline im Osten der Türkei durch Explosion beschädigt

  • Lesedauer: 5 Min.

Update 15.01 Uhr: An der Haltung Merkels und der NATO gegenüber dem militärischen Vorgehen der Türkei gegen Kurden im Irak und Syrien wird Kritik laut. Linksfrationsvize Sahra Wagenknecht teilte am Dienstag mit: »Erdogan und USA erklären Kurden den Krieg, Merkel beschwichtigt und die barbarischen IS-Terroristen freuen sich.« Wagenknecht wies auf die Forderung der Linkspartei nach einer Aufhebung des Verbots der kurdischen Arbeiterpartei PKK in Deutschland hin und forderte Solidarität mit den Kurden.

Update 13.30 Uhr: NATO verliert kein Wort über Angriffe auf Kurden
Die NATO hat der Türkei ihre »starke Solidarität« ausgesprochen. Nach einer von der Regierung in Ankara einberufenen Sondersitzung des Nordatlantikrates erklärte die Allianz in Brüssel, »Terrorismus« stelle »eine direkte Bedrohung für die Sicherheit der NATO-Länder« und die internationale Stabilität dar. Das umstrittene türkische Vorgehen gegen Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Nordirak erwähnt die NATO-Erklärung nicht.

Seit Tagen geht die Armee nicht nur gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) vor, sondern führt einen Schlag gegen die türkische Linke und gegen kurdische Gruppen sowohl im Land als auch in Nordirak und Syrien. Das hatten auch deutsche Oppositionspolitiker scharf kritisiert, die Bundesregierung rief zur Mäßigung und zur Fortsetzung des Friedensprozesses mit den Kurden auf.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan setzt aber offenbar auf Härte. Er werde den Friedensprozess mit der PKK vorerst nicht fortsetzen. Es sei »unmöglich«, mit denjenigen zu verhandeln, »die unsere nationale Einheit und Brüderlichkeit angreifen«, erklärte Erdogan. Die Militäraktionen würden weitergehen, ein »Schritt zurück« komme nicht in Frage.

Am 20. Juli hatten bei einem Selbstmordanschlag auf ein linkes Kulturzentrum im türkischen Suruc, in dem sich Helfer für das befreite Kobane auf einen Hilfseinsatz vorbereiteten, 32 Menschen getötet worden. Der Anschlag wurde dem IS zugeschrieben, in der Türkei wurde aber spekuliert, ob die Regierung in das Attentat verwickelt ist. Kurden und LInke demonstrierten darauf in mehreren Städten gegen die Syrien-Politik der türkischen Regierung, der sie vorwerfen, den IS zu dulden oder sogar zu unterstützen. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hatte sich zudem zur Tötung von türkischen Polizisten bekannt - als Vergeltung für den Anschlag von Suruc. Die PKK hatte nach den Luftschlägen gegen ihre Stellungen im Nordirak erklärt, der Waffenstillstand sei von der türkischen Regierung beendet worden.

Erdogan will nun zudem gegen die linke Oppositionspartei HDP vorgehen. Er sei zwar gegen ein Verbot der HDP, man werde jedoch gegen einzelne Parteimitglieder vorgehen. Erdogan sagte zur Begründung, das Vorgehen sei richtig, wenn diese Verbindungen zu »Extremisten« hätten, wobei unklar blieb, wenn der Staatspräsident damit meinte. Die PKK wird von Ankara als »Terrororganisation« eingestuft.

Die HDP hatte bei den Parlamentswahlen am 7. Juni zum ersten Mal die Zehn-Prozent-Hürde überwunden. Innenpolitisch kommt die Eskalation insbesondere Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und seiner Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) zugute. Nachdem die AKP bei den Wahlen ihre bisherige Mehrheit im Parlament verloren hatte und nicht mehr alleine weiterregieren konnte, führt die jetzige angespannte Lage wohl zu einer größeren Unterstützung für die AKP als zuvor als vermeintliche Garantin für Ruhe und Sicherheit. Die Koalitionsgespräche verlaufen sehr schleppend, und es ist wahrscheinlich, dass keine Regierung innerhalb der gültigen Frist gebildet wird. Dann würde es zu Neuwahlen kommen.

Erdogan rechnet offensichtlich damit, dass bei Neuwahlen die prokurdische und linke Demokratische Partei der Völker (HDP) die Wahlhürde von zehn Prozent nicht noch einmal knackt und die Oppositionsparteien insgesamt an Stimmen verlieren - und so die AKP wieder eine absolute Mehrheit im Parlament erhält. Die Rechnung ist möglicherweise insoweit realistisch, weil die türkischen WählerInnen in Krisensituationen eher bereit sind, für vermeintliche Sicherheit durch eine »starke Regierung« zu votieren.

Die türkische Armee hatte nach einem schweren Anschlag in den vergangenen Tagen erstmals Luftangriffe gegen Stellungen der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien geflogen. Am 20. Juli waren bei einem Selbstmordanschlag auf ein prokurdisches Treffen im türkischen Suruc unweit der syrischen Grenze 32 Menschen getötet worden. Der Anschlag wurde dem IS zugeschrieben.

Kurden demonstrierten darauf in mehreren Städten gegen die Syrien-Politik der türkischen Regierung, der sie vorwerfen, den IS zu dulden oder sogar zu unterstützen. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bekannte sich kurz darauf zur Tötung von zwei türkischen Polizisten, die sie als Vergeltung für den Anschlag von Suruc bezeichnet. Am 24. Juli beschoss die türkische Armee darauf erstmals PKK-Stellungen im Nordirak.

Gaspipeline im Osten der Türkei durch Explosion beschädigt

Berlin. Eine Gaspipeline im Osten der Türkei ist durch eine Explosion beschädigt worden. Die Explosion in der Grenzprovinz Agri habe in der Nacht zum Dienstag ein Feuer an der Pipeline aus dem Nachbarland Iran ausgelöst, teilte Energieminister Taner Yildiz mit. Der Brand habe aber schnell gelöscht werden können. Nach einer Reparatur könne wieder Gas durch die Pipeline fließen.

In türkischen Medienberichten war von Sabotage die Rede, für die die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verantwortlich gemacht wurde. Zunächst bekannte sich jedoch niemand zu dem Vorfall. Die PKK hatte in den vergangenen Tagen auch mehrere Attentate auf Polizisten verübt.

Die Spannungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK hatten sich zuletzt deutlich verschärft. Hintergrund ist ein Selbstmordanschlag auf linke und prokurdische Freiwillige in der südlichen Grenzstadt Suruc, bei dem vor einer Woche 32 Menschen getötet worden waren. Für das Attentat wird die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) verantwortlich gemacht, doch geben viele Kurden der Regierung in Ankara eine Mitschuld. Sie werfen ihr vor, die Aktivitäten der Dschihadisten zu lange geduldet zu haben. Agenturen/nd

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