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Fröhliche Parallelwelt in steinerner Monotonie

Die Makkabi-Spiele in Berlin finden auf dem Olympiagelände von 1936 statt - und die Sportler treten aus dem Schatten der Vergangenheit

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 6 Min.
Bisher ist die »ganze Mischpoke« auf dem Olympiagelände weitgehend unter sich - das stört beim »jüdischen Klassenfest mit Sport« aber nicht.

Der Blick von der steinernen Tribüne des Maifelds in Richtung Osten ist trotz des trüben Wetters beeindruckend: Hinter dem mehrere Fußballfelder fassenden, topgepflegten Rasen geht der Blick durch das Marathontor des Olympiastadions direkt in die Ostkurve. An diesem Dienstag ist sie leer und grau wie der Himmel am Sommerabend. Steinerne Monotonie, erstarrte Symmetrie - hier wird in einer Gedenkfeier vor Beginn der Makkabi-Spiele der Toten gedacht. Der Toten der Shoah. Die 93-jährige Margot Friedlander erzählt, wie sie den Schrecken der Vergangenheit begegnet. Anders als ihre Mutter und ihr sportbegeisterter Bruder hat sie die Shoah überlebt. Die kleine Frauerzählt bis heute drei Mal pro Woche an deutschen Schulen die Geschichte ihres Lebens. Rabbi Yitshak Ehrenberg spricht das Kaddisch, eines der wichtigsten Gebete des Judentums. Viele Gäste stehen stumm auf den Tribünen oder murmeln leise mit. Nur die Sportlerinnen und Sportler, die während der Gedenkfeier grüppchenweise über das Maifeld laufen, lassen sich von der getragenen Stimmung nicht anstecken - übermütig nehmen sie das Mailfeld in Besitz, umarmen sich, und die mittlerweile obligatorischen Selfies dürfen nicht fehlen.

Von den Ehrengästen stört sich niemand an der überschäumenden Freude, auch nicht während des Gebets - viele der nichtjüdischen Gäste sind eher damit beschäftigt, während der Windböen ihre Kippa festzuhalten. Die Makkabiade, dieses jüdische Sportfest soll gerade an diesem Ort eine Feier heutigen jüdischen Lebens sein. Indem die Sportler die Spielstätten der olympischen Spiele 1936, von der Juden ausgeschlossen waren, in Besitz nehmen, treten sie aber gleichzeitig auch aus dem überlangen Schatten der Vergangenheit heraus - in eine Gegenwart, die ihre ganz eigenen Konflikte aufweist.

Die werden den Besuchern ein paar Stunden später an der Waldbühne vor Augen geführt: Wer sich die Eröffnungsfeier der Makkabiade ansehen möchte, muss eine Sicherheitskontrolle wie an Flughäfen über sich ergehen lassen, ein Prozedere, dem sich auch die Beucher aller Sportveranstaltungen auf dem Olympiagelände unterziehen müssen - Abtasten durch Ordner und Metalldetektoren inklusive. Auch wenn die Redner an diesem Abend, darunter Bundespräsident Joachim Gauck, immer wieder von der Normalität jüdischen Lebens in Deutschland nach der Shoah sprechen: Dabei gehen Zustandsbeschreibung und Wunschdenken ineinander über. Zur Normalität gehören nämlich mittlerweile auch Sicherheitshinweise wie diese: Die rund 2300 Athleten der Spiele, die alle zusammen in einem Hotel in Berlin-Neukölln untergebracht sind, sollten möglichst tagsüber nicht als Juden erkennbar, also beispielsweise nicht mit Kippa, durch bestimmte Viertel mit vielen Zuwanderern islamischen Glaubens laufen. Bis zu 600 Polizeibeamte sind während der Spiele im Einsatz. Sie halten sich bei der Eröffnungsfeier und auch bei den Wettbewerben im Hintergrund - ihre Präsenz ist aber nicht zu übersehen. Aber beim Einmarsch der Athleten rücken sie weit in den Hintergrund: Von Irland, das genau einen Teilnehmer stellt bis zur größten Delegation, die der Makkabi Deutschland mit 376 Teilnehmern antreten lässt.

Für die jungen Sportler ist es vor allem ein großes Hallo, ein Grund, sich selbst und den Moment zu feiern - das historisch Schwere des Moments und des Ortes lässt sie zumindest nicht in andächtige Stille verfallen. Als gefühlt zum dritten Mal die gleiche Rede von dem »historischen Augenblick« und dem »historischen Ort« und der »historischen Verantwortung« erklingt, wird es einigen Athleten zu bunt und sie starten die Laola-Welle. Ausgelassen feiern sie auch nach der offiziellen Eröffnung weiter, einige Spuren sind am nächsten Morgen auf dem Weg zum Olympiagelände an der Waldbühne vorbei nicht zu übersehen. Die ersten Sportler, einige mit Ringen unter den Augen, machen sich von den Shuttlebussen aus auf den Weg zu ihren Wettkampfstätten - diese Wege sind lang auf dem weitläufigen Olympiagelände. Den größten Tross bilden Journalisten, die sich ein Bild machen wollen. Stolz präsentiert Klaus Böger, Präsident des Landessportbundes Berlin, das Gelände. Nach der Pleite der möglichen Olympiabewerbung Berlins für die Spiele 2024 kann er hier am Schauplatz der vergifteten Spiele von 1936 gleich zwei Erfolgsgeschichten präsentieren: Da sind zum einen die Makkabi-Spiele, das ist aber auch das Gelände selbst, dass als Olympiapark nach Millioneninvestitionen in den letzten Jahren zu einem Vorzeigeobjekt des Berliner Sports geworden ist. Bis 1994 wurden große Teile der Anlage von den britischen Alliierten als Hauptquartier genutzt und waren für die Öffentlichkeit unzugänglich. »Die Halle, in der heute die Badmintonwettkämpfe stattfinden, wurde früher von den Briten als Garage genutzt«, erklärt Böger.

Eine ziemlich große Garage, schließlich passen vier Badmintonfelder nebeneinander hinein. Auf denen man den ganzen Facettenreichtum eines großen Sportfestes gleichzeitig sieht: Auf einem Feld bricht ein junger deutscher Spieler unter der nervlichen Belastung in Tränen aus. Während des ausgeglichenen Spiels haben ihn die ständigen Einwürfe der türkischen Trainerin seines Gegners zermürbt - der deutsche Spieler hat zuvor noch nie bei einem Wettbewerb gespielt. Auf dem Platz daneben fegt ein junger US-Amerikaner seinen türkischen Kontrahenten mit 21:2 und 21:0 innerhalb weniger Minuten vom Platz. Die Leistungsfähigkeit der Athletinnen und Athleten ist bei der Makkabiade sehr unterschiedlich, nicht zu vergleichen mit einer Olympiade oder nationalen Meisterschaft: Das sportliche Abschneiden tritt zwar nicht in den Hintergrund, ist aber nur eine der Gründe, die Fahrt zu einer Makkabiade auf sich zu nehmen. Gerade für die kleinen Delegationen, wie aus Belarus, die aus nur sieben Teilnehmern besteht, geht es auch um das Treffen mit den anderen Makkabisportlern - die jüdische Identität verbindet stärker, als dass aktuelle Konflikte trennen. Während der Schwimmwettbewerbe wird das besonders deutlich. In den Wettkampfklassen geht es um Zehntelsekunden, in den offenen Klassen dagegen einfach ums Dabeisein: Die Russin Tatjana Gozheva tritt im 200-Meter-Freistil-Rennen an. Am Ende braucht sie für die Strecke fast zehn Minuten - acht Minuten länger als ihre Gegnerinnen. Gefeiert wird sie dennoch wie eine Goldmedaillengewinnerin.

Es ist unmöglich, alle Wettbewerbe zu verfolgen, parallel laufen verschiedene Fußballspiele, wird Schach gespielt, selbst Bridge und Golf finden sich im Portfolio der Spiele. Die sind aber bisher trotz des freien Eintritts und der umfangreichen medialen Berichterstattung leider immer noch eine Parallelwelt in der Stadt, viel mehr innerjüdisches Ereignis als ein Berliner Sportfest. Bei den meisten Wettkämpfen sind Sportler, Sportlerinnen und ihre Angehörigen unter sich. Und so ist es auch eine Art fröhlicher Parallelwelt, die sich dort im Olympiapark auftut: Unter dezenter, aber stetiger Bewachung trifft sich die »ganze Mischpoke« zu einer Art Klassenfest mit Sport, einer Geisteraustreibung mit Selfies auf dem Olympiagelände von 1936.

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