Der Gesang des schwarzen Orpheus

Zwei Bücher zum 100. Geburtstag von Léopold Sédar Senghor

  • Benjamin Jakob
  • Lesedauer: 3 Min.
Selten hat man so hohen Ton im Feuilleton vernommen wie in diesem Nachruf vom Dezember 2001: »Übervoll an Licht und an Taten« sei hier eine Biografie gewesen, schrieb »Le Monde«, vergleichbar mit jenen Lebensbildern, »die Plutarch von den großen Männern der Antike zu zeichnen liebte«. Die Ehrung, ganz klar, galt einem großen Mann der französischen Nation, doch nicht irgendeinem, sondern einem Schwarzen: Léopold Sédar Senghor, der »Stimme Afrikas«. Vor seinem 100. Geburtstag sind jetzt zwei Bücher erschienen, die zur Beschäftigung mit dieser außergewöhnlichen Figur einladen - ein Abriss seines politischen Weges (der erste im deutschen Sprachraum) und ein Gedichtband, ein Nachdruck aus den frühen Sechzigern. Léopold Sédar Senghor: Geboren am 9. Oktober 1906 in einem Dorf bei Dakar, in herrschaftlicher Familie. Besuchte in Westafrika die Klosterschule, dann eine Eliteschule in Frankreich, zusammen mit Georges Pompidou. Wurde Gymnasiallehrer, später Professor. Kämpfte im Weltkrieg, geriet 1940 in deutsche Gefangenschaft. Beriet nach dem Krieg Charles de Gaulle. Wurde Staatssekretär in Paris. War Präsident des unabhängigen Senegal, von 1960 bis 1980. Gehörte - als erster Schwarzer - zum erlauchten Kreis der »Unsterblichen« der Académie Francaise. Starb auf dem Landgut seiner zweiten Frau in der Normandie. Senghor - ein »großer Franzose«? Die Huldigung entbehrt nicht der Ironie. Denn sein Name ist untrennbar verbunden mit einer mächtigen Bestrebung schwarzer Emanzipation, der Négritude. Drei schwarze Studenten haben sie im Paris der Dreißiger begründet. Motto: »Retour aux sources!« (»Zurück zu den Quellen!«) Der Senegalese war - neben Aimé Césaire aus Martinique - die poetische Stimme der Bewegung, vor allem war er ihr Theoretiker. Négritude, das hieß: Protest gegen weiße Dominanz, gegen das Kolonialsystem. Négritude feierte schwarzen Stolz und schwarzes Selbstbewusstsein. Beim Ausbau seiner Ideologie kam Senghor später zu absurden Schlüssen: »Die Emotion ist schwarz, die Vernunft hellenisch«. Kritiker meinten in seinem Werk Blut- und Bodenmystik zu erkennen; für einige war er »Onkel Tom«, eine »dichtende Marionette« des Imperialismus. Fest steht: Négritude, ein Kampfbegriff, ein Fehdehandschuh, entzweite selbst die Linken. Dem Denker selbst ging es eher um Versöhnung. Er wünschte »Métissage«, eine Verschmelzung aller Kulturen. An der Wirklichkeit ist dieser Wunsch zerbrochen: Schwarzafrika heute ist eine apokalyptische Landschaft. Entwertet, was einmal »afrikanischer Aufbruch« hieß. Wichtiger als sein politisches Werk empfand Senghor das poetische. »Was von mir bleiben wird, sind meine Gedichte«, erkannte er im Alter. Der »schwarze Orpheus« (so hat Sartre ihn genannt) besang einen mythischen Kontinent, seine Erniedrigung und seine Größe: »Lauschen wir dem Gepoch unsres dunklen Blutes / Lauschen wir dem dumpfpochenden Pulsschlag Afrikas im Nebel verlorener Dörfer.« Er besang auch seine andere Heimat, die im Abendland («Herr, von allen weißen Nationen setze Frankreich zur Rechten des Vaters.«), um sie im selben Poem («Friedensgebet», 1945) anzuklagen: »... auch Frankreich hat mir Kinder geraubt wie ein Räuber des Nordens Ochsen um seine Zucker- und Baumwollfelder zu düngen, denn Negerschweiß ist wie Dünger. / Auch Frankreich hat Tod und Kanonen in meine blauen Dörfer gebracht und die Meinen gegeneinander gehetzt wie Hunde die sich um einen Knochen streiten.« Vor allem aber besang er schwarze Schönheit: »Nackte Frau, dunkle Frau / Reife Frucht mit festem Fleisch, düstere Ekstasen des schwarzen Weines, Mund der meinen Mund zum Singen bringt, / Savanne mit klarer Ferne, Savanne du zitterst im feurigen Kosen des Ostwinds ...« Man schaue, man lese, man lasse sich verzaubern. János Riesz: Léopold Sédar Senghor und der afrikanische Aufbruch im 20. Jahrhundert. 349 S., geb., 24,90 EUR. Léopold Sédar Senghor: Botschaft und Anruf. Gedichte. A. d. Franz. v. Janheinz Jahn. 237 S., geb., 22 EUR. Beide Peter Hammer Verlag.

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