Halbgott in Rot
Doku über Franz Beckenbauer in der ARD: Hinreißend komponiert, aber absolut unkritisch
Nico Hofmann, der frisch gebackene Ufa-Chef gibt‘s offen zu, ist »nicht sonderlich fußballaffin«. Im Land der 40 Millionen Bundestrainer ist das eine durchaus mutige Aussage - die den wichtigsten Fernsehmacher im Land keineswegs davon abhält, gern mal was mit Fußball zu produzieren. Kommenden Dienstag etwa verballhornt Sat.1 in Hofmanns Auftrag den Fall Uli Hoeneß zur »Udo Honig Story«, in der zwar kaum ein Ball rollt, dafür das »R« auf Franz Beckenbauers Zunge, der herrlich großkotzig verkörpert wird von Hannes Jaenicke.
Zwei Tage zuvor jedoch spielt sich der Kaiser selbst, besser: er zelebriert sich, wofür ihm die ARD am Sonntag die wichtige Sendezeit nach dem ersten »Tatort« der neuen Saison freiräumt. Franz Beckenbauer wird nämlich präsidiale 70 und das Erste, nur fünf Jahre jünger, beschenkt ihn so reichlich, als würde das Diktum, über Tote nicht schlecht zu reden, kurz mal auf Lebende erweitert. »Fußball - Ein Leben« heißt die Huldigung des Regenten vom heiligen Rasen und gewährt dem Pöbel namens Publikum Audienz beim Ehrenspielführer aus Münchens Südosten.
In Spielfilmlänge lässt Thomas Schadt die Sonne aufs Haupt jenes Liberos scheinen, der dem Sport eine neue Richtung gab. 18 Monate hat ihn der gefeierte Regisseur begleitet, ist ihm in dunkle Archive voller Schwarzweiß- und Bonbonfarbenbilder gefolgt, zu den Stadien zwischen Giesing, Rom und New York, die einen Mythos zur Unsterblichkeit geformt haben. Mit seiner herausragenden Fähigkeit, altes mit neuem Material sinfonisch zu arrangieren, ist dem versierten Dokumentarfilmer somit ein Blick ins Wesen dieses weiß gereiften Über-Ichs des globalen Fußballs gelungen, der ihm nicht bloß die Seele öffnet, sondern sogar seine vier Wände. Nur wo genau die stehen - das hätte dem Autor schon mal einen Nebensatz wert sein können.
In Salzburg nämlich. Ein Steuerparadies, zumindest von Beckenbauers Heimat aus betrachtet, wo die Abgaben weit höher sind, was des Kaisers Ruf vom Fiskusflüchtlings grundiert. Aber im Film? Kein Wort davon! Wie so viele Schattenseiten der Lichtgestalt unbeleuchtet bleiben. Da wäre die Stimme des früheren Fifa-Funktionärs für die Weltmeisterschaften in Katar und Russland, was auf unappetitliche Weise mit PR-Tätigkeiten für Putins Staatskonzerne sowie seiner menschenverachtenden Aussage über Arbeitssklaven im vulgärkapitalistischen Scheichtum korreliert, von denen er partout keinen gesehen haben will. Da wäre auch das dumpfe Raunen über Unregelmäßigkeiten beim Zustandekommen des »Sommermärchens«, der Fußball-WM 2006 in Deutschland, Beckenbauers Baby. Da wären also diverse Matschflecken auf des Kaisers Hermelin, die dieser charmanten, einvernehmenden, manchmal cholerischen, meist umgänglichen Persönlichkeit sicher keinen Zacken aus der Krone gebrochen hätten. Die ARD aber hat sie ganz gelassen. Nur warum?
Weil derlei Kritik mit fünf Minuten nonchalanter Einlassung Beckenbauers zum Ausschluss von der WM 2014 infolge nicht beantworteter Fragen der Ethikkommission zur WM-Vergabe »abgehandelt worden sind«, wie Produzent Jochen Laube vorab in einem Hamburger Kino betonte. Weil der Film dem Gefilmten »ein Versprechen auf Vertrauensebene gemacht« habe, das zu brechen ein »ganz anderes Projekt hervorgebracht hätte«, wie Bettina Reitz als Fernsehdirektorin des zuständigen BR hinzufügte. Weil »der Franz« auf all die heiklen Fragen »ohnehin nur das geantwortet hätte, was man sich tausendfach bei Youtube« ansehen könne, sekundierte der hauptverantwortliche Nico Hofmann und verwies auf die feinen Zwischentöne über den Schwerenöter oder dessen Selbstvermarktungsdrang.
So bleibt nach 90 tief greifenden, toll komponierten, tadellos inszenierten Minuten aus dem Dasein eines grandiosen Sportlers der Makel, ihm nicht allzu nahe treten zu wollen. Vielleicht erklärt das ja den Sendeplatz. Es ist der von Günther Jauch.
»Fußball - ein Leben: Franz Beckenbauer«, ARD, 6.9., 21.45 Uhr
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