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Santer? Schwamm drüber.

An diesem Dienstag wird der Schauspieler Mario Adorf 85 Jahre alt

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.
Er spielte komödiantische Schlitzohren, notdürftig kultivierte Zwielichter und den Mörder von Winnetous Schwester – Mario Adorf ist der Pate, den er doch nie gespielt hat. Nun wird er 85 Jahre alt.

Komödiantische Schlitzohren, zigarrenrauchende Finsterlinge, notdürftig kultivierte Zwielichter. Das sind seine Gestalten. Er ist der Italiener. Der Boss. Er ist der Pate, den er doch nie gespielt hat. Auf eine männliche Weise präsent, die oft auch etwas sehr Weiches, Sanftes, Kindliches besaß. Trotz eines rundum gelingenden Lebens - auch als Schriftsteller, Entertainer und Sänger - erkennt man hinter jedem selbstbewussten Auftritt Mario Adorfs noch den nüchternen, in sich ruhenden Menschen, der auf Distanz bedacht ist und sich nicht überschätzt.

Er wird 1930 in Zürich geboren, unehelich. Der Vater, ein Süditaliener aus Kalabrien, ist Chirurg. Die Mutter eine Deutsche, sie war dessen Röntgenassistentin. Bei ihr in der Eifel wächst der Junge auf, in jahrelanger Armut und mit dem Makel, ein uneheliches Kind zu sein. Die Mutter hatte wegen röntgenstrahlenverbrannter Beine zur Schneiderin umgelernt, den oft abgerissen wirkenden Schauspieler später auf der Leinwand gesehen und erst beim geschniegelten Boss im TV-Mehrteiler »Der große Bellheim« beglückt gemeint, jetzt sei auch ihr Sohn endlich »ein Herr«. Das Schneiderinnen-Urteil. Adorf erzählte stets bewegt von ihr, er hat ein Buch über sie geschrieben, auch über ihr Sterben, und bestimmte Film-Szenen, etwa sadomasochistischer Art, verweigerte er stets, denn: »Ich habe einfach nur an meine Mutter gedacht, wenn es um die Grenzen dessen ging, was ich vor der Kamera treibe und was nicht.«

Die Arbeit seiner Mutter machte den Aufenthalt des Neunjährigen im Waisenhaus nötig. Am 9. November 1938 brannten Synagogen. Am anderen Tag musste Mario im Bett bleiben, zufälliges Fieber. Er sah eine der Schul-Schwestern am Fenster stehen, war ergriffen von ihrem Weinen: Draußen schleppte man Juden fort. Als die Kameraden von der Schule kamen, zeigten sie ihre vollgepackten Taschen: Geplündertes aus jüdischen Geschäften. »Wäre ich in der Schule gewesen, hätte ich mitgemacht. So aber hatte ich an diesem Tag ein einschneidendes Erlebnis aus einer ganz anderen Perspektive. Es war ein Glück.« Prägungen extremen Gegensatzes: so zufällig, so hauchdünn voneinander getrennt. Die Mutter hat unter dem unehelichen Zustand gelitten, »aber sie hat nie zugelassen, dass sich ihr gepeinigtes Gemüt auf mich übertrug, sie hat mir Stärke gegeben, die sie gar nicht hatte.« Ihr wichtigster Satz: »Wenn du lernst, kommst du weiter, wenn nicht, wirst du Metzger.«

Seinen Vater übrigens, der hundert Zigaretten am Tag qualmte und noch bei Operationen paffte, hat Adorf nur einmal im Leben gesehen, für etwa eine Viertelstunde. Da war der Sohn schon zwanzig. Bei jener späten Begegnung hatten sie einander wohl viel zu sagen, konnten es aber nicht ausdrücken. Der eine sprach noch nicht italienisch, der andere nicht deutsch. So einmalig war dieses Treffen deshalb, weil der Vater wenig später starb. »Ich besuchte ihn später noch einmal, an seinem Grab. Ich stand davor und sagte leise, was mir spontan einfiel: Na, du alter Arsch! Das klingt vielleicht arg herzlos, aber es lag auch eine gewisse Vertrautheit, eine Zärtlichkeit und Nähe darin.«

Weit ist der Weg vom Dorf in die Welt. Adorf studiert Philosophie und Theaterwissenschaften, wird danach aber Statist am Theater in Zürich. 1957 spielt er im Film »Nachts, wenn der Teufel kam« einen massenmörderischen Triebtäter und wird sofort bekannt - und festgelegt: der Gauner vom Dienst. Er avanciert zum Vielbeschäftigten in italienischen Filmen (»Allein gegen die Mafia«), in Frankreich und Deutschland (»Die Blechtrommel«, »Die Ehre der Katharina Blum«, »Rossini«). Relativ spät dann der Erfolg im deutschen Fernsehen: »Via Mala«, »Die Affäre Semmeling«.

Er hielt sich stets für einen Mann der vielen kleinen Begabungen, keine sei groß genug, um wirklich erstklassig zu werden, aber alle zusammengenommen (einschließlich Sprachtalent und Boxerkraft) hätten ihm geholfen, als Schauspieler glaubhaft zu wirken. Stets verkörperte er einen Stolz darauf, was ein Mensch erreichen kann - ob seine Figur nun einem Wirtschaftsimperium vorstand oder »bloß« eine Familie tyrannisierte, wie etwa in der bereits erwähnten »Blechtrommel« von Grass und Schlöndorff. Mit den Jahren kultivierte er den Typus des gemütlichen Machtmenschen, der sich hochgearbeitet hat und oben bleibt, weil er die Ängste seiner Untergebenen kennt; Ängste, die einmal seine eigenen waren und es womöglich noch sind. Man hat Worte dieser Männer noch im Ohr: das genüssliche »Ich scheiß dich zu mit meinem Geld« des Klebstoffmillionärs Haffenlohner in »Kir Royal« oder das aufgesetzt väterliche »Kindschen«, mit dem er als rabiater Kommissar Beizmenne in Schlöndorffs Böll-Verfilmung Katharina Blum verhört.

Ein Hausmeister wäre fast Adorfs Schicksal geworden, eine Sekretärin wurde seine Glücksgöttin: Ersterer wollte ihn hinauswerfen, als er in München auf Wohnungssuche war, zufällig in einer Straße das Schild der Falckenberg-Schauspielschule entdeckte und neugierig hineinging. Eine Sekretärin aber, mitleidig herzugeeilt, drückte dem Verdutzten Bewerbungsunterlagen in die Hand. Sie hat dem europäischen Film einen großen Dienst erwiesen. Adorf hat sie nie wiedergesehen. Wahre Engel bleiben unbekannt.

Freilich: In einem Punkt hilft nicht das Sympathische und hilft keine Weltkarriere. Da rettet nicht, dass sich das Wuchtige, das klotzig Grobe und Finstere Adorfs so angenehm verwandelte - in den pfiffig-sympathischen Filou-Charme eines italotypischen Lebemannes. Nichts hilft, nichts rettet. Dieser Mann bleibt ein für allemal der dumpfe Frederick Santer: der hassenswerte Jäger Winnetous; er erschoss im ersten Teil der Filmtrilogie Häuptling Intschu-tschuna, ein Schuss mit tödlicher Folge traf auch Winnetous Schwester Nscho-tschi. Filmmorde, die damals Millionen erschütterte. Santer: in vielen deutschen Kino-Kindheiten ein unvergessener Dämon.

Ein wirklicher Theaterschauspieler ist Adorf nie gewesen, aber einmal, als sich das Theater zum Breitwandformat entschloss, bekam er als Bühnen-Darsteller ein Funkeln. Bei Dieter Wedels Nibelungen-Festspielen vor dem Dom zu Worms spielte Mario Adorf den Hagen von Tronje, dieses mythendeutsche Inbild der plan- und blutkalten Schurkerei und Heimtücke. Das Faszinierende trat ein: Adorf bot keine Aktion, er stand viel, er verharrte sagenhaft mutig, er ließ sich durch Handlung nicht stören - und füllte den Raum. Das war mitten im Sommer-Spektakel ein überzeugend eisige Schlitterpartie ins Abgründigste. Aber er gab den Hagen auch als einen erregend vernünftigen Politiker, dessen Motive für Untaten und Intrigen und Untergänge dicht vernäht waren mit vernünftigster, ja innigster Staatsloyalität. Das Verbrechensfähige im Rationalisten: zum Schaudern menschlich.

Er war Fettsack und Geldsack, ein Schwelger in Sein und Schein. Irgendwo zwischen Bud Spencer und Götz George und einem in den warmen Süden verkippten Jean Gabin; ein weicher Macho und faustdicker Sanftling. Der Grundhärtespieler zum Knuddeln, aber eben leider, immer wieder: Er war Santer. Ein bitteres Schicksal, wie Erwin Geschonneck, der so viele treugute Plebejer spielen mochte, wie er wollte: Er war im »Kalten Herz« der grausige Holländer-Michel. Ein Schauspieler muss immer damit rechnen, so alt zu bleiben wie zu jenem Moment, da wir ihn das erste Mal sahen. Schwamm drüber. Der Schwamm, das ist die große, kräftige, so farbige Kunst-Lebens-Leistung von Mario Adorf - der an diesem Dienstag fünfundachtzig wird.

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