SYRIZA und der Fluch der Linken

Giorgos Chondros bilanziert den griechischen Frühling

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wie kann es weitergehen?« Das ist inzwischen die große Frage der europäischen Linken: Wie weiter mit SYRIZA, wie weiter in einem Europa der kapitalistischen Eliten, wie weiter für eine Linke, die nicht bloß Krisen verwalten will?

Giorgos Chondros wirft die Frage am Ende eines kommende Woche erscheinenden Buches über den griechischen Frühling auf - ein Buch aus dem Innenleben von SYRIZA, eine Auskunft über die Erpressungspolitik der Gläubiger, dokumentierte Erfahrungen linker Regierungspolitik unter den Bedingungen einer von Berlin aus orchestrierten Austeritätspolitik.

Der studierte Ethnologe und Umweltpolitiker hat diesen Versuch nicht nur begleitet. Chondros wurde zum Gesicht von SYRIZA in den deutschen Talkshows, der Mann mit der roten Brille, der geduldige Erklärer der griechischen Linkspartei und ihrer Politik.

Nun zieht Chondros, Jahrgang 1958, eine erste Bilanz. In fünf Kapiteln legt er aus seiner Sicht »Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas« dar, beschreibt, wie »der Propagandakrieg gegen SYRIZA« den Mythos der »Rettung« Griechenlands aufrechterhalten sollte - und zugleich Ängste vor linker Politik schürte. Für eine linke Leserschaft dürfte das sechste Kapitel von besonderem Interesse sein, jenes, in dem Chondros Fehler der Tsipras-Regierung benennt, die Debatten in der Linkspartei schildert und die Abspaltung der »Volkseinheit« beschreibt. Die griechische Linke habe immer dann Großes geleistet, »wenn sie einig war. Im Gegensatz dazu erlitt sie dann Desaster, wenn der ›Fluch der Linken‹ zuschlug, der nichts anderes ist als die selbstzerstörerische Spaltung«.

Chondros will damit nicht die Fehler der Tsipras-Regierung bemänteln, welche der Abspaltung der »Volkseinheit« vorausging. Es geht ihm vielmehr um den Vorteil, der in der »Diversität« einer Partei liegt, deren Zusammenhalt politisch begründet ist und nicht ideologisch. Mit dieser Stärke, die auch die Verankerung in den sozialen Bewegungen möglich machte, gewann SYRIZA die Januar-Wahl.

Man habe es aber versäumt, so Chondros, sich »gründlich auf eine mögliche Übernahme der Regierung vorzubereiten«. Der Wahlkampf habe alles überlagert, es habe an einem detaillierten Regierungsprogramm gefehlt. Chondros, der innerhalb von SYRIZA zum linken Zentrum gehört, kritisiert das »durchaus autokratische Verhalten der Parteiführung um Alexis Tsipras«, stellt sich aber auch nicht auf die Seite derer, die der Partei nun den Rücken gekehrt haben. Er bleibt in dem Buch, obgleich Akteur, ein Erklärer. Einer, der im »unerfreulichsten, kritischsten und schmerzhaftesten Augenblick« Rechenschaft ablegt.

»Wie kann es weitergehen?« Chondros sagt, alte Gewissheiten tragen nicht mehr. Dass er die »Gewissheiten« in Anführungszeichen setzt, mag ein Detail sein - aber auch ein Beleg für eine Herangehensweise an linke Politik, die mit Wahrheitsansprüchen nichts anfangen kann. Er selbst werde »einen letzten Versuch« unternehmen, zu verhindern, »dass die Niederlage der Regierung zur strategischen Niederlage von SYRIZA und der gesamten europäischen Linken wird«.

Giorgos Chondros: Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas, Westend Verlag, 236 Seiten, 16,99 Euro. Das Buch erscheint am 25.9, am selben Tag können Sie Giorgos Chondros im Gespräch mit Tom Strohschneider über die Wahlen und die Zukunft von SYRIZA in Berlin erleben: um 18.30 Uhr im Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Franz-Mehring-Platz 1.

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