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Bis ins Groteske taumelnd

»Wachträume« im Theater o.N., dessen Zukunft in Prenzlauer Berg ungewiss ist

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Kollwitzstraße wird intensiv geträumt. Schauspieler geben sich dem im Theater o.N. hin. »Wachträume« sind ihr Thema. Herausgekommen sind Szenen, tragisch-komisch wie das Leben eben. Fundamente dafür entstanden, als die Künstler zu Beginn der Probenzeit aufgefordert waren, ihre »Leichen aus dem Keller« zu holen. Es geht um Erlebnisse, um Verletzungen, die man mit sich herumschleppt. Ja, auch um verlorene Träume.

Wie das Leben meistern? Wie es mit Anstand und Würde bestehen? Um diese Fragen dreht es sich in der Inszenierung von Ania Michaelis. Merkwürdige Begegnungen sind zu erleben, Kindheitserinnerungen scheinen auf, unerfüllte Wünsche lassen sich erahnen.

Ein Panoptikum zu erschaffen war der Anspruch. Fantasievolle, verrückte und Bilder voller Zauber entstehen während des gelungenen Spiels zu den Texten der Regisseurin und der pointiert eingesetzten Musik von Matthias Bernhold. Das ist das Wesentliche. Kaum in der Lage, eigene Träume vollends zu entschlüsseln, wird man als Betrachter nicht alles ergründen können, was sich da widerspiegelt.

Was alles verbindet und nach 90 Minuten bleibt, ist der Eindruck von der Freude am Spiel, von Wärme, des Suchens und der Sehnsucht nach Liebe. Signale dessen, dass die sieben Agierenden hierbei keineswegs an Rührseligkeit interessiert sind, senden sie, Bühne und Kostüme von Martina Schulle von Anfang an wohltuend aus. Mitunter taumelt es ins Groteske. Ein kleines Lächeln bekommt man mit auf den Weg.

Das kleine Theater in Prenzlauer Berg, entstanden aus »Zinnober« - eine der wenigen freien Gruppen in der DDR - ist zu fragil, um es als Fels in der Brandung zu bezeichnen. Dennoch ist es nach der Gentrifizierung der letzte kulturelle Ort im Kiez neben dem nahen Bauspielplatz. Die zwei Jahre nach dem Tod von Käthe Kollwitz 1947 umbenannte ehemalige Weißenburger Straße, in der die Künstlerin im damaligen Haus Nummer 25 lebte und arbeitete, strahlte früher keinen Reichtum aus. Charme hatte sie jedoch schon immer - und schöne Geschichten. Beispielsweise die eines Pferdediebstahls in den 1980er Jahren. Der Missetäter wurde mit dem aus dem kleinen Fuhrunternehmen entwendeten Ross erwischt. Für den Weg nach Mecklenburg ritt er auf der Protokollstrecke Richtung Wandlitz. Nicht lange. In Weißensee war Schluss.

Flaniert man heute an den zahlreichen Modegeschäften ohne Preisschilder im Schaufenster vorbei, kann man ohne Weiteres auf die Idee kommen, die Straße passe jetzt in jede Stadt, Geld spiele bis auf das Angebot eines Zweite-Hand-Ladens für die Leute keine Rolle, der weibliche Anteil der Anwohner trage ausschließlich Größe 36, kocht nie selbst und holt sich höchstens mal etwas aus einer Weinhandlung, aus dem Bioladen an der Ecke oder vom nahen Supermarkt, zu dem Touristen pilgern.

Bis jetzt hat sich das Theater mit dem Namen ohne Namen und einem Spielplan für jung und alt in diesem Panoptikum anderer Art noch behaupten können. Der Mietvertrag endet 2017. Ob die Gruppe eine gangbare, neue Vereinbarung mit den Vermietern finde, sei ungewiss. Das Theater prüfe derzeit verschiedenste Möglichkeiten für eine zukünftige Wirkungsstätte, zu zuallererst im Bezirk Pankow. Das ist der aktuelle Stand.

Die Bühne, ausgezeichnet mit dem George-Tabori-Förderpreis und sich zusammen mit der ebenfalls professionellen Künstlergruppe »Spreeagenten« bei Jugendtheaterprojekten in Hellersdorf engagierend, ist mithin in Gefahr. Und die Straße - sollte sie das Theater o.N. verlieren - auch. Selbst, wenn man es dort noch nicht so sieht.

Ein sympathisches Mikroteilchen Berlinisches gibt es aber doch noch in der Kollwitzstraße, das muss der Gerechtigkeit halber gesagt werden. Kommt man dort abends an einem Laden vorbei, dessen Betreiber versprechen, jegliche Gegenstände kuschelig weich herstellen zu können, hat man das Schild vor der Nase »Nu is zu«. Das hier so witzig Wirkende, wäre fürs Theater der Albtraum. Das bleibt mal besser offen und wo es ist.

»Wachträume« wieder ab 23.9., 20 Uhr, Theater o.N., Kollwitzstr. 53, Prenzlauer Berg, www.theater-on.com

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