Die »wichtigsten Beziehungen der Welt«

Chinas Präsident begann USA-Besuch

  • Werner Birnstiel
  • Lesedauer: 4 Min.
Zum ersten Mal als Präsident bereist Xi Jinping die USA. Seinen achttägigen Dialog begann er nicht zufällig in Seattle bei Microsoft und Boing.

»Man muss sich nur vorstellen, was passiert, wenn zwei große Länder wie unsere nicht zusammenarbeiten«, schickte Xi Jinping seinem ersten Besuch als Chinas Präsident in den USA voraus. Dieser Satz aus einem Interview mit dem »Wall Street Journal« bezog sich zuerst auf Anteile an Weltbevölkerung, -wirtschaft und -handel. Doch im Kern gemeint war insbesondere eine weltpolitische Dimension.

Von zwei Staaten, deren »bilaterale Beziehungen die wichtigsten in der Welt sind«, sprachen unverhüllt und selbstbewusst chinesische Kommentatoren. Sie nennen die Zeit überreif, bei allen Verhandlungsthemen die gegenseitigen Interessen für die Zukunft zu fixieren und tragfähige Kompromisse - oder zumindest Ansätze - für eine »modernisierte« Zusammenarbeit in politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen zu finden.

Solchen Dimensionen und dem Anliegen entsprach wie kaum ein anderer Ort Seattle als Ausgangspunkt des Staatsbesuches am Dienstag. Der Auftakt am Hauptsitz des Software-Imperiums Microsoft und dem wichtigsten Standort der Verkehrsflugzeugsparte von Boeing hatte schon einen symbolischen Wert für den Zustand der Beziehungen in den letzten Jahren.

Streitpunkt ist die Cybersicherheit. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitiger Hackerangriffe, der Industrie- und Militärspionage. Ein Abkommen, das es verbietet, lebenswichtige Infrastrukturbereiche der Gegenseite mit Cyberattacken außer Kraft zu setzen, ist rüstungskontrollpolitisches Neuland. Vielleicht als Einstieg bot Peking für Mittwoch in Seattle ein »China-USA-Internetindustrie-Forum«. Auf der Gästeliste standen Chinas Oberaufseher für die Geschäfte ausländischer Technologiefirmen in China, Spitzenvertreter der Internetriesen Baidu und Alibaba und der US-Firmen Apple, Facebook, IBM, Google und Uber. Parallel dazu nahm Xi Jinping die Einladung zu einem Essen bei Microsoft-Mitbegründer Bill Gates an.

Peking ist politisch darauf aus, dass die »Titanen der amerikanischen Industrie Chinas Stärke anerkennen und ihr Respekt zollen«, hieß es. Darüber hinaus geht es beim Besuch Xi Jinpings noch um weit mehr als das Problem der Cybersicherheit. Beim Klimaschutz bleibt abzuwarten, ob sich beide Seiten über konkrete Zielen noch vor dem Weltklimagipfel in Paris im Dezember diesen Jahres verständigen. Nicht in Sicht sind Lösungen zu den Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer. Dies erst recht nicht, da Japan gerade erst in diesen Tagen seine Militärdoktrin auf die Beteiligung an Militäraktionen umgestellt hat. Das hatte auch den Segen der USA.

Mehr als Unbehagen verursacht in Washington, dass sich das Kräfteverhältnis in Südostasien kontinuierlich zugunsten Chinas verändert. Die Vernetzung der Staaten der Region mit dem Nachbarn im Norden wird trotz machtpolitischer Vorbehalte immer enger. Peking setzt auf große Investitionen in die Infrastruktur, den zunehmenden Austausch von Gütern und zwischen den Menschen. Die USA handeln vornehmlich geomilitärisch und -strategisch. Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet der frühere Kriegsgegner Vietnam soll zum strategischen Verbündeten in Südostasien gegen China aufgebaut werden.

Peking hat inzwischen die besseren Karten. Denn mit der 2013 angestoßenen Initiative zum Aufbau eines breiten »Wirtschaftsgürtels entlang der Seidenstraße« über Westchina, Zentralasien, Russland bis nach Mitteleuropa bieten sich im Verein mit der »maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts« um Südost- und Südasien herum für etliche Staaten umfassende wirtschaftliche Wachstumschancen. Die führen auch zu größerer politischer und sozialer Stabilität.

Mit Blick auf den Handel zwischen beiden Ländern verzeichnet Xi Jinping eine starke Position. Seit 2012 müssen die USA alljährlich ein Defizit gegenüber China von über 300 Milliarden US-Dollar schultern und stehen gegenwärtig mit US-Staatsanleihen bei China mit etwa 1,2 Billionen US-Dollar in der Kreide.

Wenig Gefallen fand in den USA auch die Unterzeichnung der Gründungsurkunde für die »Asiatische Infrastruktur-Entwicklungsbank« in Peking Ende Juni 2015 durch über 50 Staaten, darunter Deutschland. Sie wird zu tief greifenden Veränderungen in den Machtverhältnissen des globalen Finanzsystems führen.

Insgesamt markiert der USA-Besuch Xi Jinpings grundlegende Veränderungen im bilateralen Beziehungsgeflecht: Die wirtschaftliche, finanz- und sicherheitspolitische Vernetzung wird enger und ist zugleich geprägt von zunehmendem Konkurrenzdruck in allen Bereichen - ein widersprüchliches und kompliziertes Verhältnis.

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