Lettlands ungebetene Transitgäste
Über 11 000 Kilometer von Vietnam durch Russland nach Polen und Deutschland
Cao Viet Nguyen, ein gebürtiger Vietnamese, lebt seit zehn Jahren als Comicbücher-Künstler in der lettischen Hauptstadt Riga. Unter anderem zählt auch das lettische Nationalepos »Lāčplēsis« zu den von ihm illustrierten Werken. Doch in der letzten Zeit hat er kaum noch Zeit für Kunst. Statt Comics gehören jetzt Asylanträge, Gerichtsprozesse und Verhöre zu seinem Arbeitsalltag. Der junge Mann muss ständig im Auftrag der lettischen Behörden für seine Landsleute übersetzen.
Cao Viet Nguyen gehört zu den wenigen Menschen in Lettland, die Vietnamesisch sprechen. Seine Hilfe ist gefragt, weil der baltische Staat seit einiger Zeit einen Anstieg illegaler Grenzübertritte von Menschen aus Vietnam erlebt. Über 11 000 Kilometer legen sie durch Russland zurück. Nachdem sie zu Fuß die lettische Grenze überquert haben, werden sie häufig vom Grenzschutz aufgegriffen. Dann stellen viele Asylanträge in Lettland.
Im laufenden Jahr wurden über 300 illegale Einwanderer aus Vietnam registriert. Tendenz steigend. Sicher eine geringe Zahl mit Blick auf die europäische Flüchtlingskrise. Weil zudem Vietnam als sicheres Land gilt, werden in Lettland fast alle Asylanträge abgelehnt.
Trotzdem wird die Einwanderung in Lettland als Problem dargestellt. Die baltischen Länder waren bislang nicht für typische »Flüchtlingsrouten« bekannt. »Noch vor ein paar Jahren gab es überhaupt keine illegalen Einwanderer aus Vietnam. Deshalb ist die Situation neu für uns«, sagt Mariks Petrusins vom Grenzschutzdienst. Bei den Menschen, die die Grenze überqueren handelt es sich nicht um Einzelgänger, sondern um »Kunden« gut organisierter Schlepperbänden.
Lettland sei für die Vietnamesen nur ein Transitland, weiß Cao Viet Nguyen. Die Routen führen weiter nach Polen oder Deutschland. Da, wo schon größere vietnamesische Gemeinschaften leben. Um die Schlepper bezahlen zu können, haben sie häufig Kredite aufgenommen und ihre Häuser an Banken verpfändet.
Während des Asylverfahrens müssen die festgenommenen Einwanderer untergebracht werden. Im einzigen Flüchtlingsaufnahmelager in Lettland gibt es aber höchstens rund 100 Plätze. Auch die Haltung gegenüber Einwanderern ist in Lettland allgemein ablehnend. Wochenlang diskutierte auch die lettische Regierung, ob die 776 Asylbewerber laut dem vorgeschlagenen EU-Verteilungsschlüssel übernommen werden.
Die Regierungen Lettlands und Estlands entschieden vor kurzem, ihre Außengrenzen zu Russland zu sichern. Lettland plant für 20 Millionen Euro und Estland für 71 Millionen Euro die Einrichtung einer zusätzlichen Sicherheitsinfrastruktur. Das Projekt sieht unter anderem einen etwa 90 Kilometer langen Zaun an der 270 Kilometer langen Grenze zu Russland vor. Auch das benachbarte Estland plant seine Grenze mit modernen Überwachungssystemen und teilweise einem Zaun auszurüsten.
Die Sicherung der Grenze werde, laut dem lettischen Innenminister Rihards Kozlovskis, eine illegale Einwanderung verringern. Ursprünglich sollte die lettische, die zugleich EU- und NATO-Außengrenze ist, gegen mögliche militärische Bedrohungen durch Russland gesichert werden. Anfang 2015 warnte der damalige lettische Verteidigungsminister Raimonds Vejonis, dass die Infrastruktur in einem katastrophalen Zustand und die Situation »bedrohlich« sei. Sogenannten »grünen Männern« könne es gelingen, unbemerkt die Grenze nach Lettland zu überqueren. Wegen der schlechten Überwachung, wird auch vermutet, könne die illegale Einwanderung größere Ausmaße als bisher angenommen haben.
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