Wenn Maschinen miteinander reden

Der Mittelstand wird allmählich digital

  • Burkhard Fraune
  • Lesedauer: 3 Min.
Sie haben keine Entwicklungsabteilungen mit Millionenetats, dennoch betrifft die Digitalisierung mittelständische Familienunternehmer genauso wie Großkonzerne.

Wie ein gewaltiger Stempel schlägt der grüne Stahl-Arm in den heißen Kunststoff, dann holt ein Greifer rote Abdeckhauben hervor - Gehäuse für Router, wie sie in Millionen Wohnzimmern stehen. Auf einem Maschinenkarussell geht es weiter mit dem Buchstabendruck: »WLAN«, »Power/DSL«, »Festnetz«. Sensoren prüfen, ob die Hauben sauber gearbeitet sind - wenn nicht, zieht die Maschine sie aus dem Verkehr, schreddert den Ausschuss, gibt das Granulat in den Kunststofftank vorn an der Maschine - die Reise beginnt von neuem.

Thomas Dreusicke blickt auf sein Handy. Stimmt die Geschwindigkeit der Maschine? Gibt es zu viel Ausschuss? Muss er das Tempo drosseln? Mit dem Handy kann der Inhaber des Berliner Kunststoffverarbeiters India seine Spritzgussmaschinen von jedem Ort der Welt kontrollieren - solange er ein Netz hat. »Das gibt eine gewisse Beruhigung. In Störfällen weiß man, was ist.«

Das Familienunternehmen aus Mariendorf ergreift die Möglichkeiten der Digitalisierung, aber es nutzt nicht alle. Die Heizung des Werks regelt Dreusicke von unterwegs, seine Maschinen beobachtet er nur, steuert sie aber nicht mobil - aus Sicherheitsgründen. »Die haben 400 Tonnen Schließgewicht, das muss jemand vor Ort machen.« In der Mariendorfer Werkshalle brummen die Maschinen, es riecht nach heißem Plastik. Nicht nur Routergehäuse laufen vom Band, auch Backformen in den Konturen des Brandenburger Tors. Einige Maschinen wären in der Lage, sich selbsttätig untereinander abzustimmen. Doch hier beherrscht der Mensch die Schnittstellen. Den Weg zur viel gerühmten vierten industriellen Revolution hat der Mittelständler gerade erst begonnen.

»Alle haben ein paar Schritte gemacht«, sagt Dreusicke. »Aber wenn der Weg 100 Meter lang ist, haben wir 15 Meter geschafft«. Große Konzerne wie etwa den Lichthersteller Osram, der auch in Berlin produziert, sieht er weiter vorn - bei 30 Metern. Denn die Großen könnten die Kosten besser bewältigen.

Bisher hat erst jeder fünfte Mittelständler einen digitalisierten Produktionsbereich, ergab eine Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie und der Beratungsgesellschaft PwC. Eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY und des IT-Branchenverbands Bitkom brachte die Hindernisse zutage: Zwei Drittel der Unternehmen fürchten die Investitionskosten, jedes zweite vermisst einheitliche Standards. Ebenso vielen fehlen die Fachkräfte, etwa Elektrotechniker oder Maschinenbauer, die programmieren können.

»Gerade Mittelstand und Handwerk haben Unterstützungsbedarf bei der Umsetzung digitaler Produktions- und Arbeitsprozesse«, betont Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Sein Ministerium hat vor einigen Wochen 16 »Mittelstand-4.0-Agenturen« angekündigt, die Betriebe unterstützen sollen. In Berlin und Brandenburg haben die Unternehmensverbände ein Informationsbüro mit mehreren Hochschulen und dem Start-up-Bundesverband angekündigt, das Digital Labor. Der Name deutet darauf hin, dass vieles noch Experimentcharakter hat.

Digitalisierung sei für Berlin von zentraler Bedeutung, sagen wie aus einem Mund Senat und Industrie- und Handelskammer. Deren Hauptgeschäftsführer Jan Eder hofft auf eine »technologiegetriebene Reindustrialisierung« der Hauptstadt, die seit 70 Jahren den kriegsbedingten Verlust ihrer großen Industriebetriebe beklagt. Digitalisierung sei kein Trend, sondern bedeute einen fundamentalen Wandel von Marktstrukturen, der alle Branchen betreffe - ein Thema, das Chefsache sein müsse, meint Eder. Ein Geschäftsführer dürfe das nicht seiner IT-Abteilung überlassen - eine Warnung, aus der sich einiges über die Wirklichkeit in vielen Unternehmen ablesen lässt.

Die Sorge, dass nicht alle mitkommen, treibt viele um. »Es darf nicht passieren, dass die Mittelständler hinten runterfallen, wir müssen Grips aufwenden, wie wir sie mitnehmen«, meint etwa der Vorstand eines Weltkonzerns, Siemens-Forschungschef Siegfried Russwurm. Die gesamte Wertschöpfungskette müsse vernetzt werden. »Wenn wir den Mittelstand verlieren, haben wir auch volkswirtschaftlich ein Problem.« dpa

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