Der Hunger ist ländlich

Bernhard Walter: Es braucht Programme für die Ärmsten der Armen

  • Lesedauer: 5 Min.
Bernhard Walter ist Agrarwissenschaftler und war mehrere Jahre in Afrika in landwirtschaftlichen Projekten tätig. Walter arbeitet inzwischen als Referent für Ernährungssicherheit bei Brot für die Welt. Derzeit weilt er in Rom bei der Jahrestagung des Welternährungsausschusses CFS. Mit ihm sprach für »nd« Martin Ling.

Die Mitgliedstaaten der UNO haben sich im Rahmen der nachhaltigen Entwicklungsziele im September verpflichtet, bis 2030 den Hunger zu beenden. Realistisch?
Ein kurzer Rückblick auf die Millenniumsziele ist erhellend: 2000 wurde die Zahl der Hungernden auf 840 Millionen veranschlagt und das Ziel ausgegeben, diese Zahl bis 2015 zu halbieren. Nun stehen wir laut der Welternährungsorganisation bei 795 Millionen. Der Fortschritt in der Hungerbekämpfung erfolgt im Schneckentempo. Das neue Ziel bis 2030 ist ehrenwert, aber Zweifel an der Realisierbarkeit sind angebracht.

Die Welternährungsorganisation FAO spricht im Weltagrarbericht 2015 von einem Teufelskreis aus Hunger, schlechter Ernährung, schlechter Gesundheit, niedriger Produktivität und Armut, in dem viele Menschen gefangen seien. Wirtschaftswachstum allein helfe ihnen da nicht heraus. Hier müssten Programme ansetzen, die die Ärmsten der Armen gezielt mit Geldtransfers oder auch Sachleistungen unterstützen oder ihnen Sozialversicherungen und Ausbildung bieten. Teilen Sie diesen Ansatz?
Ja. Es hat sich gezeigt, dass Wirtschaftswachstum bei den Armen oft nicht ankommt. Viele Arme sind stark marginalisiert, nicht in Wirtschaftskreisläufe integriert und haben kaum Zugang zum Markt, sie können ihre Produkte nicht absetzen. Der Ansatz Hilfe zur Selbsthilfe ist dort nur begrenzt möglich. Es gibt in den Entwicklungsländern Kranke, Alte, Behinderte, die sich nicht selber helfen können. Dort greifen Sozialprogramme. Die Unterstützung sollte in Geldleistungen erfolgen, sodass die Menschen selber bestimmen können, für was sie dieses Geld ausgeben. Damit gibt man ihnen Optionsmöglichkeiten, um damit sinnvolle Ausgaben zu tätigen - ob Nahrungsmittel kaufen oder Schulgebühren zu bezahlen.

Die FAO fordert, dass die direkten Geldtransfers auch mit Programmen zur Förderung der Landwirtschaft verknüpft werden müssen. Sinnvoll?
Ja, ich denke schon. 70 Prozent der Armen und Hungernden leben auf dem Land. So paradox es klingt: Es wird vor allem dort gehungert, wo Nahrungsmittel produziert werden. Es braucht Programme, die Kleinbauern in die Lage versetzen, ihre Produktionsbedingungen zu verbessern. Zum Beispiel indem ihnen verbessertes lokal angepasstes Saatgut zur Verfügung gestellt wird, oder indem sie lernen, auch agrar-ökologische Methoden anzuwenden. Kurzum: Es ist sinnvoll, eine Verbindung zwischen den Geldtransfers und den Investitionsprogrammen in die Landwirtschaft zu schaffen.

Vor sechs Jahren wurde dem Welternährungsausschuss CFS die Koordinierung der Hungerbekämpfung übertragen. Festgeschriebene Regeln, ob die Regierungen ihre eigenen Beschlüsse umsetzen, gibt es immer noch nicht. Woran liegt das?
An den Mitgliedstaaten. Viele sind noch nicht so weit, dass sie die Programme, die sie hier beim CFS in Rom mitbeschließen, auch in den eigenen Ländern umsetzen können. Deswegen scheuen sie sich davor, kontrolliert zu werden. Der Wille, sich wirklich stärker um Landwirtschaft, sich wirklich stärker um die Armen zu kümmern, ist teils noch nicht stark genug. Dabei haben wir von der Zivilgesellschaft vorgeschlagen, dass nicht der Norden den Süden kontrolliert, sondern quasi die Afrikaner die Afrikaner und so weiter. Aber es ist ganz wichtig, dass diese Programme jetzt endlich mal implementiert und Überprüfungsmechanismen verankert werden.

Sind von der laufenden Sitzung des CFS wegweisende Beschlüsse zu erwarten?
Ein Hauptthema dieses Jahr ist der Zusammenhang von Wasser und Nahrungsmittelproduktion. Wir hoffen darauf, dass das Recht auf Wasser und das Recht auf Nahrung miteinander verknüpft werden. Wasser ist ein knappes Gut, Wasser muss effektiv eingesetzt werden, aber Wasser muss auch denjenigen zugutekommen, die unter Wassermangel leiden, sprich Kleinbauern und benachteiligten Bevölkerungsgruppen in der Stadt, die keinen Zugang zu Wasser haben. Auch bei der Bekämpfung von Mangel- und Fehlernährung sollte der CFS eine aktive Rolle spielen. Neben der Zahl der Hungernden gibt es zwei Milliarden Menschen, die an Mangelernährung leiden und 1,9 Milliarden sind übergewichtig. Wir brauchen gute Nahrungsmittel, die ausgewogen sind, die gesundheitlich akzeptabel sind. Hier muss die Lebensmittelindustrie in die Pflicht genommen werden.

Drei Viertel der Entwicklungsländer sind Nahrungsmittelimporteure. Die großen Agrarexporteure USA und Europäische Union laden nach wie vor ihre Überschüsse zu Billigpreisen im Süden ab und zerstören landwirtschaftliche Strukturen. Ist ein Wandel in Sicht?
Kaum. Die ländliche Entwicklung wurde im Globalen Süden in den vergangenen 30, 40 Jahren stark vernachlässigt. Fast überall hat man sich auf wenige Exportprodukte wie Kakao und Kaffee konzentriert und die Grundnahrungsmittelproduktion extrem zurückgefahren. Erst seit der Welternährungskrise 2008 mit Hungeraufständen in manchen Ländern gibt es ein gewisses Umdenken. Inzwischen ist allgemein anerkannt, dass es wichtig ist, die Produktion vor Ort zu stärken. Aber das geht nicht von heute auf morgen, schon gar nicht angesichts des Kahlschlags der vergangenen Jahrzehnte. Für verschiedene Länder in Afrika oder in Asien, deren großen Städte an den Küsten liegen, ist es günstiger, Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt einzukaufen als in den Anbau im eigenen Hinterland zu investieren, weil es an Straßen und an Transportmöglichkeiten fehlt. Das lässt sich nur langfristig verändern.

In der Welthandelsorganisation ist der Anbau von Grundnahrungsmitteln nach wie vor nicht geschützt. Ein Problem?
Ja. Es ist auf jeden Fall wichtig, die lokalen Agrarmärkte im Süden, die oft noch im Entstehen sind, zu schützen. Nur so bleibt die Produktion von Grundnahrungsmitteln von unfairer Dumpingkonkurrenz aus dem Norden verschont.

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