Ein sauberer Abschied - und weitersehen

Wechselt in Nordrhein-Westfalen ein
 Piraten-Landtagsabgeordneter zur Linkspartei?

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Führende Piraten-Politiker wechseln ins bürgerliche Lager. Einen jedoch zieht es offenbar in die andere Richtung: Der NRW-Parlamentarier Daniel Schwerd soll vorm Absprung zur LINKEN stehen. Oder doch nicht?

Die Partei-Piraten, sie starteten so hoffnungsfroh. Doch statt frischen Wind und Technikkompetenz - an der es dem Politikbetrieb zweifelsohne mangelte und mangelt - brachten sie hauptsächlich Skandale etwa um einen als Parteifreund geduldeten Holocaustleugner und unzählige Streitigkeiten um den Kurs der Partei zustande.

Bereits vor gut zwei Jahren konstatierte der damalige Bundesvorsitzende Bernd Schlömer, die »Partei der Informationsgesellschaft« (so die Eigenwerbung) befinde sich in einer Schockstarre. Schlömer räsonierte darüber, ob die Piraten nicht eher als Bewegung agieren sollten - führende Parteileute könnten demgemäß zu anderen Parteien abwandern und dort dafür sorgen, »dass die Idee der Piratenpartei fortbesteht«.

Kurz darauf verließ der »bürgerliche Liberale« Robert Stein Partei und Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalens, für die er die Jungfernrede gehalten hatte. Längst ist der Kleinunternehmer Christdemokrat. Auch Bernd Schlömer und Sebastian Nerz, Schlömers Amtsvorgänger im Amt des Parteichefs, wechselten in diesen Tagen die Parteifarben: Sie gingen zur FDP, die in Umfragen ein wenig besser dasteht als die Piraten.

Jetzt zieht es scheinbar erstmals einen mit Mandat versehenen Piraten nach links: Daniel Schwerd, auch er NRW-Parlamentarier, ist seit vorletzte Woche partei- und fraktionslos. Aber nicht mehr lange, wenn man dem Kölner Boulevardblatt »Express« glaubt: »Daniel Schwerd will zur Linkspartei«, titelte das Blatt.

Die Botschaft: Schwerd hoffe auf einen aussichtsreichen Listenplatz bei der NRW-LINKEN, die 2012 aus dem Landtag flog, nun aber in Umfragen wieder bei sechs Prozent liegt. Und Schwerd hatte Fürsprecher in der Partei - nicht nur in NRW, sondern auch in Berlin, wie »nd« erfuhr. Doch NRW-LINKE-Chef Ralf Michalowsky erteilte Schwerd eine schroffe Absage. Wer kandidiere, entscheide der Landesparteitag, beschied der Gladbecker dem »Express«. Seitdem schweigt er zur Causa Schwerd.

Unkompliziert, so ist zu hören, seien die Sondierungsgespräche nicht verlaufen. Aber wie intensiv war denn der Flirt nun? Daniel Schwerd sitzt in einem Besprechungsraum im Landtag und gießt sich einen Schluck Cola light ein. »Man spricht miteinander, natürlich. Und da ist auch ein gegenseitiges Interesse, aber es war nicht so definitiv, wie es im ›Express‹ herüberkommt.«

Ja, so räumt der Ex-Pirat ein, es gebe »eine Reihe inhaltlicher Überschneidungen« mit den LINKEN bei Themen wie Soziales, Flüchtlinge und Antifaschismus. »Das passt für mich persönlich sehr gut. Auf Landesebene sind die Schnittmengen aber leider nicht ganz so groß.« Er habe, betont Schwerd, nicht nur mit der Linkspartei gesprochen - »und die Linkspartei spricht sicher nicht nur mit mir«.

Sein Leitbild, sagt Schwerd, sei die Idee einer freien, fairen und sozialen Netzgemeinde: »Ich bin der Meinung, dass man mit Technologie das Leben zum Besseren wenden kann - wenn man die Rahmenbedingungen aktiv und positiv gestaltet.«

Das klingt in der Tat ein wenig zu pragmatisch und optimistisch für den als parteilinks geltenden und bei manchen Genossen als »Hort des Wahnsinns« verschrienen NRW-Landesverband der LINKEN. Andererseits würde die Partei dann wieder über einen Abgeordneten im Parlament des einwohnerstärksten Bundeslands verfügen - zumindest bis zur Landtagswahl 2017.

Und die Piraten? In seinem öffentlichen Austrittsschreiben moniert Schwerd, eine »fachliche, politische Arbeit« sei zuletzt unmöglich gewesen wegen eines destruktiven Umgangs in der Landtagsfraktion. Der 48-Jährige beklagt zudem »politische Instinktlosigkeiten« bei Themen wie Antifaschismus und Feminismus. Und Demokratiedefizite: Bei den Piraten herrsche keine Basisdemokratie - erst recht keine internet-basierte, ergänzt Schwerd im Gespräch mit »nd«. Vielmehr hätten informelle Netzwerke die Macht inne.

Ganz ist die alte Liebe indes noch nicht erloschen. »Die Ziele der Piraten bleiben richtig, aber die Organisation ist endgültig gescheitert«, legt Schwerd dar. »Ich werde die Themen der Piraten mitnehmen. Vielleicht auch in eine andere Partei. Im Landtag mache ich auf jeden Fall weiter bis zum Ende der Legislaturperiode.« Er habe ja auch als Fraktionsloser Antragsrechte und könne in gewissem Rahmen im Plenum reden.

Insbesondere will der Kölner für ein Ende der Störerhaftung bei für jedermann zugänglichen Wlan-Netzen ringen. Rot-Grün soll im Bundesrat die Initiative ergreifen, einen entsprechenden Antrag hat Schwerd für die kommende Sitzung des Landtages eingereicht. Auch das Thema Rechtsterrorismus will Schwerd auf die Agenda setzen.

Doch vor allem sieht er sich als Netzpolitiker. »Der digitale Wandel prägt die Gesellschaft grundlegend, viel grundlegender, als wir heute vielleicht ahnen«, analysiert Schwerd. Er fordert gleiche Arbeitnehmerrechte auch für Clickworker, digitale Tage-, ja: Minutenlöhner: »Clickworker dürfen nicht als formal Selbstständige weit unterhalb des Mindestlohns landen. Wir stehen hier vor einer neuen sozialen Frage.« Die Lösung dürfe nicht allein dem Markt überlassen werden, sonst werde sie keine soziale sein. Klingt schon ein wenig nach Linkspartei. Ob er der in einem Jahr angehören werde? Schwerd zuckt die Schultern. »Keine Ahnung. Ich will nichts ausschließen. Für mich stand zunächst ein sauberer Schnitt im Vordergrund. Jetzt sehen wir weiter.«

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