Es kommen mehr Flüchtlinge als erwartet
758 000 Asylbewerber 2015 in Deutschland registriert / Koalition will spezielle Aufnahmeeinrichtungen
Nach Informationen aus SPD-Kreisen haben sich die Parteivorsitzenden der Großen Koalition, Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD), bei einem Treffen am Donnerstag in Berlin auf beschleunigte Verfahren in speziellen Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge verständigt. Dort werde eine Residenzpflicht gelten - das heißt, die Asylbewerber dürften den Landkreis nicht verlassen. Das berichtete die Deutsche Presse-Agentur. Damit wurde nach langem Streit über sogenannte Transitzonen ein Kompromiss geschlossen.
Bereits vor dem Treffen hatte Pro Asyl vor Schnellverfahren gewarnt. Denn dabei sei nicht die nötige Sorgfalt der Asylanhörung möglich, so die Flüchtlingsorganisation. Nun scheint es nach der Einigung von Schwarz-Rot möglich zu sein, dass vermehrt Menschen abgeschoben werden, obwohl sie in ihrer Heimat verfolgt werden.
Bisher wurden 758 000 Flüchtlinge registriert, wie das Bundesinnenministerium am Donnerstag mitteilte. Wichtigste Herkunftsländer waren Syrien, Albanien, Afghanistan, Irak und Kosovo. Die im August vorgelegte Regierungsprognose von 800 000 Menschen bis Jahresende ist damit kaum noch zu halten. Dies wären mit Abstand so viele wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Seit Wochen gibt es inoffizielle Schätzungen und Hochrechnungen, dass die Zahl deutlich höher liegen könnte - bei 1,0 bis 1,5 Millionen.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hielt aber weiterhin an seiner Vorhersage fest. Dies tat er allerdings allein aus taktischen Gründen. Die Herausgabe einer neuen Prognose könnte verstanden werden als »zusätzliche Einladung, zu uns zu kommen«, sagte er. »Ein solches Signal möchte ich nicht aussenden.« De Maizière deutete an, dass die Große Koalition weitere Verschärfungen für Asylbewerber beschließen könnte. Nach einer Einigung werde die Gesetzgebung folgen. »Dann wird sicher weiter diskutiert«, so der Minister.
Derweil teilte die EU-Kommission mit, dass sie bis 2017 die Ankunft von drei Millionen weiteren Flüchtlingen in Europa erwarte. Nach Angaben von Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici wird der Flüchtlingsandrang eine »schwache, aber positive« Wirkung auf das Wirtschaftswachstum in der Europäischen Union haben. Das Bruttoinlandsprodukt könne infolge der Zuwanderung um »0,2 bis 0,3 Prozent bis 2017 steigen«, erklärte die Kommission. Zusätzliche öffentliche Ausgaben würden das Wachstum kurzfristig ankurbeln. Weil mit den Flüchtlingen auch neue Arbeitskräfte in die EU kämen, sei aber auch ein mittelfristiger Aufschwung möglich. Dazu müssten die Mitgliedsländer aber für einen verbesserten Zugang der Flüchtlinge zum Arbeitsmarkt sorgen. Mit Agenturen Seite 5
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