Zum Schweigen verpflichtet?

Jobcenter: Hartz-IV-Bezieher soll bei Bewerbungsgesprächen seine Erkrankungen verheimlichen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Fallmanagerin im Jobcenter verlangt von Gerald B., dass er seine Erkrankungen gegenüber potenziellen Arbeitgebern nicht erwähnt. Nicht nur der Hartz-IV-Bezieher hält das für rechtswidrig.

Gerald B. hat es nicht leicht. Der Hartz-IV-Betroffene ist nach eigener Aussage starker Allergiker, leidet an Knieproblemen und den Folgen einer nicht behandelten Borreliose. Mit solchen Vermittlungshemmnissen ist man auf dem ersten Arbeitsmarkt stark benachteiligt. Das weiß auch das zuständige Jobcenter in Freiburg (Baden-Württemberg). Als B. im Juli von seiner Fallmanagerin aufgefordert wurde, sich als Zeitungsausträger in Teilzeit zu bewerben, erinnerte er sie daran, dass er sich »im Vorjahr eine gravierende Knieverletzung zugezogen hatte«. Noch immer sei das Knie nicht voll belastbar, so B. Es dauerte eine Weile, bis er ein ärztliches Attest vorlegen konnte. In der Zwischenzeit schrieb er eine Bewerbung an den Zeitungsverlag, in dem er auf seine Erkrankung hinwies. Hartz-IV-Bezieher sind dazu verpflichtet.

Wie zu erwarten, bekam er den Job nicht. Dafür aber eine 30-prozentige Kürzung seines Regelsatzes. Schließlich hatte er eine ihm vermittelte Stelle nicht angetreten. In diesem Fall wird jeder Hartz-IV-Betroffene mit einer Sanktion belegt.

Seine Fallmanagerin nahm die Geschichte jedoch offenbar zum Anlass, die Eingliederungsvereinbarung, die Hartz-IV-Bezieher mit ihrem Jobcenter abschließen müssen, entsprechend zu ergänzen. In dem Dokument, das »nd« vorliegt, heißt es: »Ihr Bewerbungsschreiben muss so verfasst sein, dass ein Arbeitgeber Ihr Interesse an einer Arbeitsaufnahme objektiv erkennen kann. Zu vermeiden sind u.a. der Verweis auf vorhandene gesundheitliche Einschränkungen ...« Sprich: Bei kommenden Bewerbungsgesprächen soll B. verschweigen, dass er Allergiker ist, Probleme mit dem Knie hat und an den Folgen von Borreliose laboriert.

Darf das Jobcenter seinen Kunden einen solchen Maulkorb verpassen? Bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) heißt es auf nd-Nachfrage, dass man den Vorgang »ohne Einsicht in den Datensatz« nur schwer bewerte könne. Da Eingliederungsvereinbarungen mit dem Kunden einvernehmlich besprochen würden, sei darüber hinaus davon auszugehen, dass diese Passage auch erläutert wurde. »Wenn dies nicht der Fall war, sollte der Kunde nochmals das Gespräch mit dem Fallmanager im Jobcenter suchen, um eine Klärung herbeizuführen«, so der Rat aus Nürnberg.

Allerdings sei es aber möglich, heißt es dort weiter, »dass mit dieser Passage ausgeschlossen werden soll, dass der Kunde durch einen aktiven Hinweis auf die Allergie einen Zuschlag im Stellenbesetzungsverfahren verhindert«. Bei der BA fällt das unter den »Vereitelungstatbestand«. Ohnehin erhalte der Kunde nur Vorschläge, die seiner gesundheitlichen Situation entsprechen. Aber warum wurde B. dann die Stelle als Zeitungsausträger angeboten? Zumal Arbeitsrechtler darauf hinweisen, dass es durchaus Konstellationen gibt, in denen Arbeitnehmer verpflichtet sind, ihren Arbeitgeber über die Art ihrer Erkrankung zu informieren. Auch »wenn die Krankheit nicht zur vollständigen Arbeitsunfähigkeit führt, aber die Arbeitsleistung beeinträchtigt«, wie Fachanwalt Ulrich Grund Anfang des Jahres gegenüber der »Süddeutschen Zeitung« betonte. B. fragt sich, was passiert, wenn er als starker Allergiker etwa bei einem Gartenbaubetrieb vorstellig werden soll. »Muss ich meine Allergien verschweigen? Und was ist, wenn ich dann beim Rasenmähen einen allergischen Schock erleide?«, so Gerald B. Wie es nun weitergeht, weiß er noch nicht. Sein letzter Termin beim Amt sei kurzfristig von der Fallmanagerin abgesagt worden.

Gerald B. hat die Eingliederungsvereinbarung bislang nicht unterzeichnet und eine Dienstaufsichtsbeschwerde an die BA-Zentrale in Nürnberg geschickt. Auf eine offizielle Reaktion aus der Zentrale wartet er immer noch.

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