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Fusionsfieber macht aggressiv

Der Konzern Vonovia SE kauft Wohnung nach Wohnung und mag keine Gewerkschaften

  • Jörn Boewe
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei Deutschlands größtem Immobilienkonzern herrscht ein rabiat gewerkschaftsfeindliches Klima, berichten ver.di-Mitglieder. Nun gab es einen tätlichen Übergriff gegen eine Gewerkschaftssekretärin.

Es gibt nicht viele Unternehmen, die im DAX notiert sind, deren Namen aber kaum jemand kennt. Vielleicht ist die Vonovia SE das einzige. Bemerkenswert, denn es handelt sich um Deutschlands größten Eigentümer von Mietwohnungen. Dass der Name kaum geläufig ist, liegt schlicht daran, dass das Unternehmen in einem atemberaubenden Tempo wächst, indem es einen Mitbewerber nach dem anderen schluckt. Dass ein solcher Übernahmefeldzug nicht ohne Folgen für das Unternehmensklima bleibt, ist wenig verwunderlich. Ein Vorfall vom Mittwoch vergangener Woche zeigt nun, wie weit die Sitten im Unternehmen schon verroht sind.

Wie die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mitteilt, kam es auf einer Betriebsversammlung der Vonovia-Tochter Immobilienservice Nordost am 4. November in Kleinmachnow bei Berlin zu einem physischen Übergriff auf eine Gewerkschaftssekretärin. Nachdem der Personalreferent des Unternehmens die Rede der Gewerkschaftssekretärin mit herabwürdigenden Äußerungen kommentiert hatte, habe er versucht, sie vom Mikrofon zu drängen. Dabei »griff er die Sekretärin nach ihrer Rede grob am Arm und ließ sie auch nach klarer Aufforderung, dies sei eine Grenzüberschreitung, nicht sofort los«, heißt es in der Erklärung der Gewerkschaft.

Ver.di fordert seit Jahren einen Tarifvertrag für das Unternehmen, das als »Deutsche Annington« um die Jahrtausendwende im Zuge massenhafter Privatisierungen öffentlicher Wohnungen entstanden war, inzwischen 370 000 Wohnungen im Portfolio hat und demnächst mit weiteren Übernahmen die 500 000er Grenze knacken will. »Ich habe in meiner Rede für einen Tarifvertrag geworben und betont, dass wir den nur erreichen werden, wenn sich mehr Kolleginnen und Kollegen bei uns organisieren«, so die Sekretärin gegenüber »nd«. Regionalgeschäftsführer und Personalreferent hätten dies als »dumme Äußerungen« und »völlig unrealistisch« abqualifiziert. Zudem seien Äußerungen gefallen wie: »Wer hier mit der ver.di-Fahne wedelt, muss damit rechnen, dass er nicht mehr lange im Unternehmen bleibt.« Bezeichnendes Detail: Der Personalreferent habe sie nur als »Frau ver.di« angesprochen, berichtet die Gewerkschafterin.

Die Vonovia bestritt den physischen Übergriff auf Nachfrage nicht, betonte aber, der Manager habe »lediglich beabsichtigt, das Mikrofon zu sich zu ziehen, um zu einer Aussage der Gewerkschafterin Stellung zu beziehen«. Unterstützung bekommt die Konzernspitze vom Kleinmachnower Betriebsrat, der sich in einem Brief an den Vorstand »in aller Form« von ver.di distanziert. Zugleich wird darin eingeräumt, dass es »zu einer Berührung« gekommen sein, als der Personalreferent »mit dem ihm eigenen Engagement« auf den Redebeitrag der Gewerkschafterin reagiert habe.

Die Eskalation auf der Betriebsversammlung von Kleinmachnow ist offenbar kein isolierter Vorfall. »Das ist der traurige Höhepunkt einer Reihe von Angriffen auf aktive Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter«, so ver.di-Bundesvorstandsmitglied Ute Kittel. Man werde dieses Verhalten »nicht hinnehmen«.

Deutschlands und Europas größtes Wohnungsunternehmen bekämpfe offen die gewerkschaftliche Tätigkeit im Betrieb, heißt es beim ver.di-Landesbezirk Nordrhein-Westfalen, wo die Vonovia ihren Sitz hat. »Das Geschäftsmodell heißt ›Mieten rauf, Personalkosten runter = höhere Dividende für Aktionäre‹«, erklärte die Gewerkschaft am Dienstag in Düsseldorf. Bei den derzeit rund 6000 Beschäftigten werde »ein Klima der Angst« geschürt. Offene Drohungen mit Arbeitsplatzverlust, Einschüchterungen in Einzelgesprächen gehörten mittlerweile zum Alltag.

Von ungefähr kommt das nicht: Auf einer Aktionärsversammlung am 30. November soll die Übernahme der derzeitigen Nummer Zwei des deutschen Immobilienmarktes, der Deutschen Wohnen AG, beschlossen werden. Offenbar macht es die Konzernspitze nervös, dass ver.di seit einigen Jahren wieder Mitglieder unter den Beschäftigten gewinnt und nach eigenen Angaben inzwischen rund 30 Prozent organisiert hat.

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