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Halbmast, doch kein Fall für das Bündnis

Bittet die «Grande Nation» um die Hilfe der NATO-Partner? Und wenn ja, wie soll die aussehen?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit den Anschlägen von Paris sei Frankreich vom Islamischen Staat ein Krieg aufgezwungen worden, sagt Präsident Hollande. Der Blick richtet sich auf die NATO. Steht die - wie 2001 - vor dem Bündnisfall?

Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hat eine repräsentative Umfrage durchgeführt und herausgefunden, dass 66 Prozent der mehr als 2600 Befragten wollen, dass Deutschland «eher eine aktive Politik» bei der Bewältigung von Problemen, Krisen und Konflikten« verfolgt. 77 Prozent befürworten diplomatische Verhandlungen, 74 Prozent setzen auf Entwicklungshilfe. Auch Wirtschaftssanktionen stehen relativ hoch im Kurs. Insgesamt überwiegen nicht-militärische Präferenzen, doch finden sich auch 57 Prozent der Befragten bereit, Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu befürworten.

Das war vor den Anschlägen in Paris. Man kann mutmaßen, wie die emotional motivierten Antworten 129 Tote später ausfallen würden. Die politischen Debatten über eine mögliche Antwort durch die NATO werden derzeit vor allem im Hintergrund geführt. Allenfalls organisieren Politiker mediale Spähtrupps zum Thema »Bündnisfall«, um die Stimmung in den Staaten der Allianz zu erkunden. Abwehrstellung bezog dagegen Ursula von der Leyen (CDU). Die Verteidigungsministerin, die wegen der G20-Teilnahmet der Kanzlerin im Kabinett offenbar einen Schritt nach vorne gerückt worden ist, meint: Sollte Frankreich tatsächlich die NATO anrufen, müsse darüber »mit großer Besonnenheit« beraten werden. Spekulation verbietet sich, sagte die Ministerin und gab sich zuversichtlich, dass der Islamische Staat geschlagen werden könne - wobei sie nicht nur »das Militärische« meinte. Vielmehr müsse ihm der politische und ideologische Nährboden entzogen werden. So sieht es auch die SPD, die Oppositionsparteien halten grundsätzlich nichts von militärischen Beistandsideen.

Auch aus der NATO-Spitze kam Zurückhaltung: Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte unmittelbar nach den Angriffen von Paris ganz allgemein erklärt: Nie werde es der Terrorismus schaffen, die Demokratie zu besiegen. Der Nordatlantik-Pakt spricht in seinem Artikel 4 von dem Recht auf »Unversehrtheit des Gebietes«, von der »politischen Unabhängigkeit« und der »Sicherheit« jedes Bündnisstaates. Ein »bewaffneter Angriff« gegen einen oder mehrere Bündnispartner wird wie ein Angriff auf alle NATO-Mitglieder gewertet. Gemeinsam könne man dem Angriff »unter Einschluss der Verwendung bewaffneter Kräfte« so lange wehren, bis »die Sicherheit des nordatlantischen Gebietes« wiederhergestellt ist und aufrechterhalten werden kann.

Frankreichs Präsident Francois Hollande nennt den Terror vom Freitagabend einen »Kriegsakt«. Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck spricht von »einer Art neuem Krieg«. Krieg ist mit Sicherheit mehr als nur ein bewaffneter Angriff. Dieser Angriff auf die Freiheit »meint uns alle«, hatte Kanzlerin Angela Merkel am Samstag gesagt und Frankreich »jede erdenkliche Hilfe« zugesichert.

Mehr Raum für Spekulationen konnte die Regierungschefin nicht öffnen. Diskutiert wird seit Jahren darüber, welcher Gestalt ein Angreifer sein muss, um in die NATO-Vertragsdefinition zu passen. Frankreich behauptet, der Islamische Staat (IS) steckt hinter den Angriffen. Den betrachtet man im Westen bislang eher als Bewegung, repräsentiert durch Terrormilizen. Was ist der IS wirklich? Aus Sicht seiner Apologeten ein Staat, wenngleich noch mit keinem einheitlichen Staatsgebiet. Das entsprechende Kalifat sei im Reifen, heißt es. Wurde Frankreich also von einem Staat angegriffen?

Bislang wurde in der NATO-Geschichte der Bündnisfall ein einziges Mal ausgerufen: Das war nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Damals war nach offizieller Darstellung kein Staat, sondern nur die Terrororganisation Al-Qaida über die USA hergefallen. Sie hatte über 3000 Menschen ermordet. Die Situation von damals scheint der aktuellen in vielem vergleichbar. Die USA - und mit ihr die NATO-Staaten - haben Afghanistan angegriffen, weil die dortige Taliban-Regierung der von Osama bin Laden geführten Terrortruppe ein logistisches Hinterland geboten hat.

Vieles dürfte jetzt auch davon abhängen, in welche Richtung die Ermittlungsresultate gedreht werden. Passt es den NATO-Strategen in den Kram, nun mit aller Kraft über Syrien herzufallen, wären Gründe für den Bündnisfall hilfreich. Doch dazu müsste man erst einmal die Ziele eines Anti-IS- und/oder Anti-Assad-Feldzuges definieren und sich mit Russland darüber verständigen können. Was US-Präsident Barack Obama und Russlands Staatschef Wladimir Putin am Rande des G20-Gipfels beredet haben, ist unbekannt.

Doch es gibt auch berechtigte Hoffnungen, dass Frankreich nicht das Bündnis um Hilfe bittet. Da ist vor allem der Stolz der »Grande Nation«, die mit solchen Angriffen ins nationale Herz alleine fertig wird. Zumal ja auch Spanien 2004 darauf verzichtet hatte, nach den Anschlägen auf Vorortzüge in Madrid - mit über 190 Toten - nach der NATO zu rufen.

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