Fahrplan zu politischem Neuanfang

Konferenz zur Beendigung des Syrien-Krieges lässt Raum für vorsichtigen Optimismus

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Wiener Treffen zu Syrien brachte so konkrete Ergebnisse wie keine Konferenz diesbezüglich zuvor: Beschlossen wurden eine repräsentative Syrien-Kontaktgruppe und ein Fahrplan zu Wahlen.

Natürlich stand das Wiener Folgetreffen zur Syrien-Krise unter dem Eindruck der Ereignisse von Paris. Nur kurz wurde befürchtet, dass es wegen etwaiger Unabkömmlichkeit von ursprünglich angesagten Teilnehmern noch abgesagt würde. Nicht einmal Frankreichs Außenminister Laurent Fabius - bis dato eher ein Hindernis als bemüht um einen gemeinsamen Standpunkt der Vetomächte zu Syrien - schoss diesmal quer. Am Sonntag jedenfalls unterstrich er Frankreichs Einigungsinteresse: »Die Anschläge in Paris«, wird Fabius von dpa zitiert, »machen den Kampf gegen den Terrorismus nötiger denn je.«

Was beschlossen wurde, ist nicht weniger als ein Fahrplan hin zu einer Einstellung der Kampfhandlungen und darüber hinaus eine politische Nachkriegsordnung; beides mit dem Segen der Präsidenten Russlands und der USA, Wladimir Putin und Barack Obama, die sich am Rande der G20-Konferenz in der Türkei getroffen hatten. In Wien wurde eine aus 17 Staaten bestehende Syrien-Kontaktgruppe gebildet, der unter anderen die USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Iran und Saudi-Arabien angehören. Manager des Prozesses soll der Syrien-Beauftragte der UNO sein, der italienisch-schwedische Diplomat Staffan de Mistura. Er soll zunächst dafür sorgen, dass es möglichst bald zu regionalen Waffenruhen kommt.

Noch aber sind die wesentlichen Subjekte des Krieges nicht einbezogen worden. Weder die syrische Führung unter Staatspräsident Baschar al-Assad noch die weit gefächerte Phalanx seiner Gegner, bei Weitem nicht alles Syrer, waren in Wien zugegen. Das hatte Sinn, denn die Unversöhnlichkeit beider Seiten ließ bisher nicht einmal die gleichzeitige Anwesenheit in einem Raum zu, geschweige denn Verhandlungen. Mit den Syrern am Wiener Tisch wäre die zügige Einigung vom Wochenende nicht vorstellbar gewesen.

Nun aber muss es mit eben diesen Konfliktparteien weitergehen. Auch das soll geradezu atemberaubend schnell geschehen. Noch in diesem Jahr sollen sich Vertreter der Opposition und der syrischen Regierung treffen. Eine Übergangsregierung soll in sechs Monaten stehen, eine Wahl unter UN-Aufsicht in 18 Monaten stattfinden. Moskau und Washington - sowie Frankreich -, die ja mit ihren Luftangriffen ebenfalls Konfliktparteien sind, ließen übereinstimmend erklären, dass nun »die Syrer selbst« über einen politischen Übergang entscheiden sollen. Da darf man gespannt sein.

Weniger, was die syrische Regierungsseite betrifft. Assad wird es wenig begeistern, seinen Todfeinden Zugeständnisse machen zu müssen. Aber nachdem seine Schutzmacht in Moskau - und offenbar auch die in Teheran - den Verhandlungsprozess abgenickt hat, bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als zu verhandeln. Er kanalisiert seinen Frust Richtung Frankreich. »Die fehlgeleitete Politik der westlichen Staaten, vor allem Frankreichs, hat zur Expansion des Terrorismus beigetragen«, war von Assad aus Damaskus zu hören. Damit hat er nicht ganz unrecht, obwohl ihm nicht nur aus Pietätsgründen derzeit kein einziger Amtskollege auf der Welt darin zustimmen wird. Ob es politisch vernünftig war, so etwas zu sagen, ist eine andere Frage.

Die größeren Fragezeichen bezüglich der Bereitschaft, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, gibt es bei Assads Gegnern. Die sogenannte gemäßigte Opposition und islamisch-fundamentalistische Gruppen wie die Nusra-Front haben bisher nicht nur gegen den syrischen Staat, sondern auch gegeneinander gekämpft, bezogen sie ihren Rückhalt doch von rivalisierenden Regionalmächten wie Katar/Türkei auf der einen und Saudi-Arabien auf der anderen Seite.

Die Kalifatskämpfer des Islamischen Staats (IS), die sich für die Anschläge von Paris verantwortlich erklärt haben, lehnen jegliche Verhandlungen ab. Die Teilnehmer von Wien werden im Stillen aufgeatmet haben. Wie hätte man sachlich begründen sollen, dass man die Nusra-Front-Terroristen um der Sache willen in den Dialogprozess einbeziehen will, nicht aber den militärisch weitaus stärkeren IS?

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