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Zweierlei Sicht auf den »Flächenfraß«

Ausgleichs-Renaturierung auch im Nordosten strittig

  • Frank Pfaff, Schwerin
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn für den Bau neuer Straßen, Wohnsiedlungen, Tierställe oder Industriegebiete der Natur Raum genommen wird, soll sie an anderer Stelle welchen bekommen. Doch die Umsetzung gesetzlich vorgeschriebener Kompensationsmaßnahmen - etwa die Renaturierung intensiv genutzter Agrarflächen - wird auch in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern immer schwieriger. Interessenkonflikte zwischen Politik, Agrarwirtschaft und Umweltschützern verschärfen sich, wie eine dpa-Umfrage zeigt. Die scheinbar ungebremste Preisentwicklung für Landflächen heizt die Situation noch an.

Nach Angaben des Schweriner Umweltministeriums wurden als Ausgleich für Baumaßnamen im Land bislang rund 850 Einzelflächen mit einer Gesamtgröße von knapp 4000 Hektar gewissermaßen an die Natur zurückgegeben oder naturnah umgestaltet. Dazu zählt die Wiedervernässung einst trockengelegter Moore und Niederungen. Dies erfolgte unter anderem im Zuge des Baus der Ostseeautobahn A 20 oder der Ostsee-Erdgaspipeline Nord Stream. Knapp 5000 Hektar sind langfristig für weitere Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen.

Beim Landesbauernverband sieht man in diesen Zahlen ein Problem. Für Bauernpräsident Rainer Tietböhl ist schon der »Flächenfraß« durch Siedlungen, Verkehr oder auch Photovoltaikanlagen eine der größten Bedrohungen für landwirtschaftlich genutzten Boden. Knapp 800 Hektar Agrarland wurden im Nordosten allein 2013 zu Siedlungs- und Verkehrsflächen. Dass die Umwandlungen dann auch noch flächenträchtige Ausgleichsmaßnahmen nach sich ziehen, ist für Tietböhl nicht hinnehmbar. Er fordert ein gesetzliches Erhaltungsgebot für landwirtschaftliche Flächen.

Der Schweriner Umwelt- und Agrarminister Till Backhaus (SPD) ist in seiner Doppelfunktion gewissermaßen die Verkörperung des schwer lösbaren Widerspruchs. »Wir wollen, dass Natur- und Umweltschutz und wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung nicht einander ausschließen«, betont er. Wer in Natur und Landschaft eingreife, sei gesetzlich verpflichtet, die dabei verursachten »erheblichen Beeinträchtigungen« adäquat zu kompensieren. In der Umsetzung zeige sich aber, dass es schwieriger werde, »zeitnah geeignete Flächen und Maßnahmen« zu finden.

Den Ausweg glaubt Backhaus mit der Einrichtung eines sogenannten Ökokontos gefunden zu haben. »Kompensationsmaßnahmen können zeitlich vorgelagert und ohne konkreten Eingriff durchgeführt, anerkannt und in ein Ökokonto eingebucht werden«, erklärt der Minister. Bei späteren Natureingriffen könnten Investoren dann geeignete Maßnahmen von diesem Konto »abbuchen«.

Corinna Cwielag, Landesgeschäftsführerin der Umweltschutzorganisation BUND, bleibt skeptisch. Sie fordert ein ständig zu aktualisierendes Kataster für alle Öko-Ausgleichsprojekte in Mecklenburg-Vorpommern. Nur so ließen sich auch Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit der Maßnahmen überprüfen. »Es nutzt überhaupt nichts, wenn Vorgaben zwar formal umgesetzt werden, aber keine Wirkung zeigen. Am Schweriner See zum Beispiel sollte als Ausgleich für den Umbau des Burgsees zur Buga 2009 ein neuer Schilfstreifen angelegt werden. Die Schilfmatten sind aber nie angewachsen«, sagt Cwielag. Die von Backhaus initiierte Ökokontierung lehnt sie auch deshalb ab, weil damit der räumliche Zusammenhang zwischen dem Nachteil für die Natur und der Verbesserung aufgehoben werde. dpa/nd

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